Chronik
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Programm Neujahrskonzert 2002

Das Konzert steht unter dem aktuellen Motto „Vom Schilling zum Euro“





Programmeinführung

Ouvertüre zur Operette „Eine Nacht in Venedig“

Als Johann Strauß im Jahre 1882 das Libretto zur Operette „Eine Nacht in Venedig“ komponierte, wurde er von seiner zweiten Gattin Angelika („Lili“), geb. Dittrich, verlassen. Die Frau, die das Text­buch für die neue Operette ausgewählt hatte, übersiedelte in das von Franz Steiner geführte Theater an der Wien. Strauß unterbrach die Arbeit und stellte seine Partitur erst fertig, als er von Lili „von Tisch und Bett“ geschieden worden war und in der Witwe Adèle Strauß eine neue Partnerin für das künftige Leben gefunden hatte.

Die Uraufführung von „Eine Nacht in Venedig“ wurde ins Friedrich Wilhelmstädtische Theater in Berlin verlegt und erst, als Strauß das Werk dort am 3. Oktober 1883 uraufgeführt hatte - dabei kam es zu einem unliebsamen Zwischenfall, da eine Stelle des Textes vom Publikum verspottet wurde - brachte die ebenfalls von Strauß geleitete Erstaufführung der etwas abgeänderten Operette „Eine Nacht in Venedig“ am 9. Oktober 1883 in Wien den verdienten Erfolg. Dem Kom­ponisten aber war „Lilis Operette“ verleidet: er schenkte die Partitur der Ouvertüre seinem Schwager Josef Simon - echt Strauß! - als „gebundenes Closette-Papier“. Das hat die aus wichtigen Melodien der Operette bestehende, sehr effektvolle Ouvertüre nicht ver­dient.

„Von der Börse“, Polka francaise, op. 337

Am Ende der Sommersaison 1869 verabschiedete sich Johann Strauß vom russischen Publikum der Konzerte in Pawlowsk bei St. Petersburg mit einer Polka, der er den Titel: „Nje sabud menja“ (etwa: „Vergiss mich nicht“) gegeben hatte. In Wien wurde das Werk dann umgetauft und im Fasching 1870 beim „Concordia-Ball“ den Journalisten mit dem Namen „Von der Börse“ gewidmet. Damals wurde ja in der Presse vielfach darauf hingewiesen, dass sich im Wirtschaftsleben als Folge einer krankhaften Sucht nach Spekulationen mit dubiosen „Wertpapieren“ eine Katastrophe anbahnte. Die Warnungen wurden von breitesten Kreisen der Bevölkerung nicht beachtet, so dass es am 9. Mai 1873, dem „Schwarzen Freitag“, zum Zusammenbruch der Kurse an der Wiener Börse kam. In wenigen Stunden wurden Vermögen vernichtet und Existenzen gefährdet. Strauß hatte diese Entwicklung vorhergesehen und mit seiner Polka - allerdings vergeblich - auf die Nachrichten von der Börse auf elegante Art hingewiesen.

„Transactionen“, Walzer, op. 184

Einen Titel aus dem Wirtschaftsleben hat Josef Strauß für seinen kostbaren Walzer gewählt, den er im Sommer 1865 für sein letztes Konzert vor seinem durch einen Zusammenbruch im Fasching dieses Jahres notwendig gewordenen Urlaub komponierte.
Ob er aber dabei tatsächlich an „größere finanzielle Unternehmergeschäfte“ gedacht hat, muß bezweifelt werden. Denn die faszinierenden Melodien dieses Walzers weisen - und das ist ja die Bedeutung der Silbe „trans“ - auf Ereignisse hin, die sich jenseits des Alltäglichen, ja selbst des Irdischen abspielen. Dieser Walzer des schwer­kranken Josef Strauß war ein Werk, noch tanzbar und doch an der Grenze zur symphonischen Musik, von makelloser Schönheit und trotzdem durchweht von der Ahnung einer harmonischen Sphäre jenseits irdischer Aktionen. Er weist auf Sphären hin, von denen selbst sein genialer Bruder Johann nichts gewusst hat.

„Banditen-Galopp“, op. 378

Aus Motiven seiner Operette „Prinz Methusalem“ formte Johann Strauß im Jahre 1877 seinen „Banditen“-Galopp. Er meinte damit zwielichte Figuren der Operette. Man könnte aber im Zusammenhang mit der Polka „Von der Börse“ auch an jene unredlichen Berater denken, die dem nicht börsenkundigen Publikum in den Jahren 1870 - 1873 wertlose Aktien als „Anweisungen auf einen raschen Reichtum“ eingeredet hatten. Aber wie immer man den Titel versteht: Johann Strauß hat mit diesem Galopp ein höchst effektvolles Werk geschaffen und feierte damit in Paris, in Baden-Baden, in Wien und schließlich in der ganzen Welt Triumphe.

„Bauern-Polka“, op. 276

Johann Strauß konzertierte in der Sommersaison 1863 zum ersten Male in Begleitung seiner Gattin Jetty Treffz, in Pawlowsk bei St. Petersburg. Da erreichte ihn der Wunsch seines Wiener Verlegers Carl Haslinger, er möge ein besonders wirksames Stück für das russische Publikum schreiben. Das ließ sich „Jean“ nicht zwei­mal sagen. In übermütiger Laune schrieb er seine „Bauern-Polka“ und berichtete seinem Verleger: „Es wird darin nicht nur getrommelt, sondern auch gesungen. So auffaßlich ist diese Bauernmusik gehalten, daß Hoch und Nieder sich vor’s Orchester stellt, um dieses Wunderwerk mit Andacht zu genießen.“ Als dann auch noch der Zar seine Begeisterung über das Werk aussprach, wurde der Erfolg dem Komponisten geradezu peinlich. Aber er genoss den Beifall und nahm diese Polka auch künftig gern in seine Programme - z.B. in Wien und in London - auf.

„Wo die Citronen blüh’n“, Walzer, op. 364

Unmittelbar nach der Premiere seiner Operette „Die Fledermaus“ trat Johann Strauß im Frühjahr 1874 eine seit längerer Zeit vorbereitete Konzertreise durch Italien an. Für diese Tournee hatte er einen neuen Walzer vorbereitet, der am 5. Mai 1874 im „Teatro Regio“ in Turin unter dem Titel „Bella Italia“ uraufgeführt wurde. In Wien ließ der Komponist das Werk unter der an Goethe orientierten Bezeichnung „Wo die Citronen blüh’n“ am 10. Juni 1874 in den Blumensälen an der Ringstrasse vorstellen.

„Unter Donner und Blitz“, Polka schnell, op.324

Johann Strauß hat sich einen Spaß ausgedacht. Er kündigte seinen Freunden der Künstlervereinigung „Hesperus“ (= Morgen- bzw. Abendstern) für ihren Ball am 16. Februar 1866 eine Polka mit dem Titel „Sternschnuppen“ an. Aber am Ballabend wurde nicht an das Aufleuchten eines Meteoriten erinnert, sondern Strauß spielte - gewiss zu seinem eigenen Gaudium - die rasante Schnellpolka „Unter Donner und Blitz“ auf und jagte die Tanzenden durch den Saal mit einem entfesselten Furioso, das an den Hoch­sommer erinnert, wenn er am heißesten ist und düstere Gewitterwolken den Himmel verfinstern. Dass Blitze gefährlich sind und der Donner manchmal von verheerenden Sturmböen begleitet wird, daran wollte Strauß nicht einmal denken. Er trieb „mit Entsetzen Scherz“ und gerade als Jux schlägt die Polka auch heute noch unfehlbar ein.

„Feuerfest“, Polka francaise, op. 269

Die unverändert populäre Polka „Feuerfest“ hat Josef Strauß für ein Betriebsfest am 13. März 1868 in den Blumensälen der Gartenbaugesellschaft ge­schrieben. Die Firma Wertheim feierte die Auslieferung der 20.000 eisernen Kasse. Das damals europaweit begehrte Produkt wurde mit dem Slogan „feuerfest“ beworben. Der Titel des Werkes stand damit fest. In dieser Polka klingen die Schmiedehämmer einer versunkenen Zeit heute noch nach.

„Künstlerleben“, Walzer, op. 316

Im Fasching 1867, in dem auch der Walzer „An der schönen blauen Donau“ am 15. Februar im Dianasaal am Ufer des Donaukanals zum ersten Male erklungen ist, wurde drei Tage später, also am 18. Februar 1867, im selben Saal beim Ball der „Concordia“ eine der nobelsten Kompositionen des Walzerkönigs von Johann Strauß selbst uraufgeführt. Der Walzer bezeugt, wie hoch Johann Strauß die Ideale seiner Kunst schätzte. Von der fast symphonischen Einleitung bis zum eleganten Schluß beschwört das Werk edelstes Wiener Künstlertum und bestätigt, dass Anton Wildgans die Österreicher mit Recht als „Volk der Tänzer und der Geiger“ bezeichnet hat.

„Bahn frei“, Polka schnell, op. 45

Sein erstes Meisterwerk hat Eduard, der jüngste der Strauß-Brüder, für den Ball der „Kaiser Ferdinand Nordbahn“ am 17. Februar 1869 ge­schrieben. Das erklärt den Titel. So stolz war der „schöne Edi“ auf diese geschickte Polka, dass er viele Jahre später auf eine Skizze der „Strauß-Wohnung“ im Hirschenhaus in der Leopoldstadt den Tisch eintrug, an dem er diese Polka niedergeschrieben hatte. Damals dürften die Züge der Bahn noch nicht so rasch das Tempo erreicht haben, das ihnen diese Schnellpolka nach dem Abfahrtssignal vorgab. Aber gerade deshalb passt sie auch noch in unsere Zeit.

„Im Fluge“, Polka schnell, op. 230

Im Sommer 1867 ließ Josef Strauß die leicht dahingleitende, jubelnd empor steigende Polka „Im Fluge“ zum ersten Male auffliegen. Das Werk erinnert an schwerelos dahingleitende Vögel im endlosen Blau des Himmels. Kein noch so modernes Flugzeug erreicht diese selbst­verständliche Leichtigkeit. Im Jahre 1867 war die Polka ein die Fantasie beflügelndes Versprechen für eine neue, problemlose Zeit.

„Nur fort!“, Polka schnell, op. 383

Auch in der erfolglosesten Operette von Johann Strauß, „Blindekuh“, die am 18. Dezember 1878 im Theater an der Wien, zum ersten Male aufgeführt worden ist, fanden sich typisch „Strauß’sche“ Melodien, die für die Konzerte und die Tanzsäle verwendet werden konnten. Dazu gehörte die Eröffnungsmelodie des Ensembles „Nur fort, nur fort zum Schatten kühl, zur Wiese dort, zum Spiel“ im Finale des 2. Aktes. Die Uraufführung dieser Schnellpolka, deren vitaler Schwung bis in unser Jahrtausend nach­wirkt, überließ Johann Strauß seinem Bruder Eduard. Er war am Tag der Uraufführung, dem 2. März 1879, der Devise „Nur fort!“ bereits gefolgt und hatte Wien in Richtung Paris verlassen, wo ihn neue Triumphe über den Miss­erfolg seiner Operette „Blindekuh“ trösteten.

© Franz Mailer