Chronik
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Herbstkonzerte 2005

J. Brahms: Deutsches Requiem

Sa., 8. Oktober, 20 Uhr: Basilika Sonntagberg
So., 9. Oktober, 16 Uhr: Stift Seitenstetten

Solisten: Elisabeth Flechl (Sopran) und Klaus Kuttler (Bariton)

Chor Cantores Dei, Allhartsberg
Choreinstudierung: Anita Auer

Dirigent: Wolfgang Sobotka

Über allem wacht der Trost

„Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und im Orchester ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbare Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor ... Seine Mitgenossen begrüßen ihn bei seinem ersten Gang durch die Welt, wo seiner vielleicht Wunden warten werden, aber auch Lorbeeren und Palmen; wir heißen ihn willkommen als starken Streiter.“ Das schreibt Robert Schumann 1853 in seiner „Neuen Zeitschrift für Musik“ über die große Zukunftshoffnung Johannes Brahms, nachdem dieser die Schu-manns über Vermittlung von Joseph Joachim in Düsseldorf kennen lernte und die beiden ersten Klaviersonaten spielte.

Das „Deutsche Requiem“ wurde 1869 zum ersten Mal vollständig mit allen sieben Sätzen aufgeführt und brachte dem erst 35-jährigen Brahms einen durchschlagenden Erfolg – ein Wendepunkt seines Lebens, der endgültige Wechsel von Hamburg nach Wien steht in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft. Den Text nach Worten der Heiligen Schrift hat er selbst zusammengestellt. Im Gegensatz zu vorangehenden Requiem-Vertonungen stehen bei Brahms Klage und Trost im Mittelpunkt, was ihm auch Kritik und Unverständnis einbrachte. So schreibt Carl Reinthaler: „Sie stehen in dem Werke nicht allein auf religiösem, sondern auf ganz christlichem Boden. Schon die zweite Nummer berührt die Weissagung von der Wiederkunft des Herrn, und in der vorletzten wird das Geheimnis der Auferstehung der Toten ausführlich behandelt. Es fehlt aber für das christliche Bewusstsein der Punkt, um den sich alles dreht, nämlich der Erlösungstod des Herrn.“ So schob man bei der Uraufführung des Requiems, die Brahms selber dirigierte, die Alt-Arie „Erbarme dich, mein Gott“ aus der Bach’schen „Matthäus-Passion“, sowie eine Arie („Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“) und zwei Chöre aus dem „Messias“ von Georg Friedrich Händel ein! Brahms akzeptierte die fremden Zutaten, verweigerte aber jegliche eigene musikalische Stellungnahme zu diesem Thema. Das war dem Humanisten und „christlichen Agnostiker“ zu viel.

Das „Deutsche Requiem“ wird wiederholt mit dem geistigen Zusammenbruch Schumanns und dem Tod der Mutter Brahms’ assoziiert. Eine zutiefst menschliche Reaktion, doch bleibt der autobiographische Aspekt sehr ver-borgen. Brahms steht mit der Idee ein deutsches Requiem zu schreiben in der Tradition eines Heinrich Schütz („Musikalische Exequien“, 1636) und Bachs Trauerkantate „Actus tragicus“. Auch Schumann dachte an eine Vertonung der Totenmesse in deutscher Sprache, was aber als Projekt liegen blieb. Brahms vermeidet den liturgischen Text zur Gänze, und setzt an dessen Stelle eine große Welle des Trostes für die Hinterbliebenen. Alec Robertson spricht in diesem Zusammenhang von einem Brahms, „der nicht einmal, geschweige denn zweimal für die Toten betet“. Die Posaunen des Jüngsten Gerichtes verkünden bei ihm die Hoffnung auf die Auferstehung und ein Wiedersehen im ewigen Leben. Das deckt sich auch mit der Theologie Martin Luthers, der das Fegefeuer des römisch-katholischen Ritus völlig ablehnt. Brahms war ein eifriger Leser der Lutherbibel - seine Bibel ist mit unzähligen Bleistiftanmerkungen versehen. Er betonte mehrmals, dass er auch zu gern das Wort „Deutsch“ weg ließe, um an dessen Stelle den „Menschen“ zu setzen.

Gegen Ende seines Lebens vertraute Brahms dem Komponisten und Chorleiter Siegfried Ochs an, dass dem gesamten Werk eine Choralmelodie zu Grunde liege, was diesen großen inneren symphonischen Bogen schafft. Für den Hörer ein unbewusstes Durchdringen, vorhanden, aber nicht wirklich greifbar – ein Merkmal großer Kunst. Auch der satztechnische Aufbau folgt einer deutli-chen Symmetrie in einer Spiegelform: Erster und letzter Satz entsprechen einander in der Tonart und in der Ähnlichkeit der Texte. Sätze zwei, drei und fünf sind verzweifelte Bilder des Todes, die sich in einen Zustand der Hoffnung lichten. Der vierte und fünfte Satz tragen den Kern der Botschaft: Trost, Trost und noch einmal Trost!

I. Selig sind, die da Leid tragen – Ziemlich langsam und mit Ausdruck

Der Text stammt aus dem Matthäus-Evangelium Kapitel 5, Vers 4 und aus den Psalmen 125, 5 und 6. Der Chorsatz eröffnet sehr verhalten, der Orchesterklang ist äußerst abgedunkelt – keine (!) Violinen - und erinnert an Brahms’ frühe A-Dur-Serenade op. 16 aus dem Jahr 1858.

II. Denn alles Fleisch, es ist wie Gras – Langsam, marschmäßig

In diesem vokalen Trauermarsch verwendet Brahms Worte aus dem ersten Petrus- und Jakobus-Brief. Mit schwerem Schritt hebt der Chor an und führt schlussendlich in einen triumphierenden Dur-Abschnitt: „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit“.

III. Herr, lehre doch mich – Andante moderato

Zum ersten Mal tritt ein Gesangssolist (Bariton) in Aktion. Der Text folgt zum Großteil dem 38. Psalm und der Weisheit Salomos 3, 1: „Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an.“ Zu Beginn wechseln sich Solist und Chor in einem düster, klagenden Dialog, aber nach einem Überleitungsteil verdichtet der Chor das Geschehen in Form einer mächtigen Fuge über einem einzigen Orgelpunkt, in strahlendem D-Dur verankert. Hier passen die Worte Arnold Schönbergs, der Brahms ob seiner „Rückschrittlichkeit“ hingegen als Fortschrittlichen erkannte: „... dass Brahms, der Klassizist, der Akademische, ein großer Neuerer, ja tatsächlich ein großer Fortschrittler im Bereich der musikalischen Sprache war.“ (A. Schönberg: „Stil und Gedanke“)

IV. Wie lieblich sind Deine Wohnungen – Mäßig bewegt

Der vierte Satz dient nach der großen Dramatik der vorangehenden Abschnitte als dringend benötigte Entspannung und folgt textlich dem 84. Psalm. Schwebend, süßlich, „lieblich“ breitet sich der Chor im Wohlklang aus.

V. Ihr habt nun Traurigkeit – Langsam

Im fünften Satz verkündet der Solo-Sopran Worte des Trostes aus dem Johannes-Evangelium, Kapitel 16, Vers 22. Der pastorale Ton wird durch die noble Eleganz der Bläser besonders unterstrichen.

VII. Denn wir haben hie keine bleibende Statt – Andante – Vivace – Allegro

Dieser Satz bildet den dramatischen Kern des Requiems. Der Bariton schlüpft in die Rolle eines Sehenden, der die Zukunft verkündet. Ein kurzer Mittelteil reißt eine schreckhafte Apokalypse auf, ehe sich über den reinigenden Weg einer großartigen Fuge Zuversicht einstellt. Der Text ist aus dem Brief an die Hebräer, dem ersten Korinther-Brief und der Offenbarung des Johannes entnommen.

VII. Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben – Feierlich

Bezeichnend, wenn Brahms hier den Kreis schließt und die anfänglichen Worte „Selig sind, die da Leid tragen“ nun in „Selig sind die Toten“ verwandelt, aber der Chor das gleiche melodische Thema singt. Die Trauer ist einmal umrundet, und schenkt dem Glaubenden Licht am Ende des Tunnels. Brahms schreibt dazu: „Ich habe nun meine Trauer niedergelegt und sie ist mir genommen; ich habe meine Trauermusik vollendet als Seligpreisung der Leidtragenden. Ich habe nun Trost gefunden, wie ich ihn gesetzt habe als Zeichen an die Klagenden.“

© Ursula Magnes