Chronik
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Frühjahrskonzerte 2005

Sibelius - Mozart - Franck





Werkeinführung

...naturtrübes d-Moll im Schatten Beethovens...

„schwermüthige Weiblichkeit, die Spleen und Dünste brütet“ Christian Friedrich Daniel Schubart: "Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst" (1784/1785) „Lugubre, sonore un peu commun“ (düster, klangvoll, ein wenig gewöhnlich) Hector Berlioz: "Grand Traté d' Instrumentation et d' Orchestration modernes" (1856)

Jean Sibelius (1865-1957): Finlandia, Tondichtung Op. 26, Nr. 7

Aus der Landschaft und der Nationalität erwuchs Finnlands großer Komponist Jean Sibelius. Sein Werk hat sich bereits zu Lebzeiten stark ausgebreitet, geriet später etwas in Vergessenheit und erlebt heute eine Renaissance.

Sibelius war ein echter Romantiker, der seine nationale Herkunft nicht verleugnete und zum Teil auch mit etwas Pathos wie in "Finlandia" auf die Geschichte seines Heimatlandes verwies. So liegt auch diesem sinfonischen Gedicht ein politischer Tatbestand zu Grunde. Um das Jahr 1899 lastete das russische Joch schwer auf Finnland. Alle seine nationalen Äußerungen wurden unterdrückt, seine Zeitungen verboten. Gerade unter diesem Druck wuchs aber auch der Widerstand. Man organisierte "Festakte", in deren Verlauf in allegorischer Form Szenen aus Finnlands heroischer Vergangenheit dargestellt wurden. Sibelius trug dazu einige Musikstücke bei, eines davon verwandelte sich später in das sinfonische Gedicht "Finlandia". Damals durfte dieser Name allerdings nicht genannt werden, weshalb dieses Stück vormals als "Impromptu" bezeichnet wurde.
Die Musik scheint die Landschaft Finnlands und seine heldenhafte Geschichte zu schildern; bald festlich in den fanfarenartigen Bläsereinwürfen, dann wieder düster und aufbrausend, trägt jedoch der festlich hymnische Charakter über weite Strecken dieses Stück, dass damit auch einer positiven, optimistischen Zukunft Ausdruck verleiht. Der innige, sehr schlicht und volksliedhaft gehaltene Mittelteil bildet den Kontrast zu den Eckteilen und zeigt letztlich wie bravourös Sibelius mit Klangfarben als echter Romantiker, umzugehen versteht.

W. A. Mozart (1756-1791): Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll KV 466

Das Konzert ist mit „10. 2. 1785 Wien“ datiert und wurde auch von Ludwig van Beethoven samt eigener Kadenzen gespielt, was durchaus als Anerkennung zu werten ist. Man erinnere sich des Lehrsatzes „Mozarts Geist aus Haydns Händen...“, welchen man ihm auf dem Weg von Bonn nach Wien mitgegeben hatte. Die Jahre rund um die Entstehung des d-Moll Konzertes waren für Mozart produktiv und sehr erfolgreich, sodass er an seinen Vater Leopold in Salzburg schreiben konnte „nun können sie sich leicht vorstellen, daß ich nothwendig Neue Sachen spiellen muß“. Komponiert hat er es im Wiener Figarohaus in der Domgasse 5, das mit Blick auf das Mozartjahr 2006 endgültig renoviert wird.

Mozart komponierte von seinen insgesamt 27 Klavierkonzerten nur zwei in Moll-Tonarten, neben d-Moll (KV 466) ein Konzert in c-Moll (KV 491). D-Moll ist die Tonart des „Don Giovanni“, in d-Moll komponierte Mozart das Requiem und wenn der erste Satz „Allegro“ des Klavierkonzertes anhebt, spürt der offene Zuhörer sofort, dass er es im weitesten Sinne mit einem „Dramma giocoso“ zu tun hat. Das Mozartsche Auge, das gleichzeitig lacht und weint, von der Dunkelheit erzählt, ohne den lichten Ausgang aus dem Blickwinkel zu verlieren.
Das Konzert ist dreisätzig (Allegro – Romance - Rondo: Allegro assai), wobei die farbige Orchesterbesetzung mit Streichern, Holzbläsern, Blechbläsern und Pauken den romantisch leidenschaftlichen Zug der Partitur unterstreicht. Die Solostimme steht im Dialog mit dem Orchester, das weit mehr als nur begleitet (besonders die Holzbläser sind gefordert), sie lässt sich über einem Klangteppich tragen, treibt vorwärts, kommentiert. Diese einfühlsame Lebendigkeit, allen voran im zweiten Satz, kann die Vorstellung, Mozart säße selbst am Pianoforte zum kreativen Hörausflug machen. Zumindest weiß man, dass Mozart seine Konzerte für den Eigengebrauch geschrieben hat. Die Anforderungen des Publikums waren ihm dabei durchaus bewusst, wie ein Brief vom 28.12.1782 über seine ersten Wiener Klavierkonzerte (KV 413-415) an den Vater verrät: „das Mittelding zwischen zu schwer, und zu leicht – sind sehr Brillant – angenehm in die ohren – Natürlich, ohne in das leer zu fallen – hie und da – können auch kenner allein satisfaction erhalten – doch so – dass die nichtkenner damit zufrieden seyn müssen, ohne zu wissen warum“.

César Franck (1822-1890): Symphonie d-Moll

César Franck, geboren im belgischen Lüttich, war ein klavierspielendes Wunderkind, das vom Vater ähnlich wie im Falle Mozart gefördert, bisweilen zum Erfolg getrieben wurde. Bereits mit 13 Jahren besuchte er das Pariser Conservatoire und studierte Klavier, Harmonielehre und Kontrapunkt. 1844 übersiedelte die Familie Francks endgültig nach Paris. César löste sich vom Elternhaus und wurde ein gefragter Organist und berühmt berüchtigter Improvisator. Als Kompositionslehrer prägte er eine ganze Generation an Schülern und legte von Richard Wagners Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ ausgehend über den Einfluss Liszts und Schumanns den Weg frei für die Musik eines Claude Debussy.

Die 1888 komponierte Symhonie d-Moll, seine einzige, stieß bei Publikum und Kritik auf absolute Ablehnung. Charles Gounod nannte das Werk „bis zum Dogma getriebenes Bekenntnis zur Impotenz“ und Ambroise Thomas holte weit aus, in dem er meinte: „Was ist das für eine d-Moll-Symphonie, bei der das Hauptthema im neunten Takt nach des, im zehnten nach ces, im einundzwanzigsten nach fis-moll, im sechsundzwanzigsten nach c-moll, im neununddreißigsten nach Es und im neunundvierzigsten nach f-moll moduliert?!“.
Franck selbst beschrieb das Werk ganz bewusst als „klassische Symphonie“ – die Anknüpfung an Beethoven ist unüberhörbar, teilweise sogar unmittelbar zitiert, wie am Beginn der Symphonie das bekannte Motiv „Muss es sein?“, die ersten Töne des vierten Satzes aus dem Streichquartett F-Dur op. 135 (1826). Es musste wohl sein, denn Franck wetteiferte mit Camille Saint-Saëns, der 1871 die Société Nationale de Musique“ gründete, um die „bessere französische“ Symphonie nach Beethoven – kein leichtes Unterfangen, denn der Schatten war nicht nur in Frankreich wegen der zusätzlichen politischen Auseinandersetzungen um Elsaß groß, auch Johannes Brahms zögerte lange mit der Veröffentlichung seiner ersten Symphonie (Uraufführung 1876!).
Die bestimmende Keimzelle der Symphonie wird am Anfang des ersten Satzes „Lento, Allegro non troppo“ von den Bratschen, Celli und Bässen vorgestellt (d-cis-f / f-e-a). Das sonst übliche Scherzo komponiert Franck nach der Englischhorn-Kantilene als Mittelteil des zweiten Satzes „Allegretto“. Und erneut hört man sehr deutlich das thematische Motiv des Anfangs, das auch im Finale „Allegro non troppo“ neben den strahlenden Blechbläsern eine zentrale Rolle spielt.

Seine Komposition erklärt Franck selbst in einem Brief an seinen Freund Pierre de Bréville: „Es ist eine klassische Symphonie. Zu Beginn des 1. Satzes findet sich eine Reprise der Art, wie man sie bei älteren Symphonien zur festeren Etablierung der Hauptthemen benutzte; hier steht sie jedoch in einer anderen Tonart (f-Moll). Es folgt ein kombiniertes Andante und Scherzo. Ich wollte die Konstruktion so anlegen, dass jeder volle Takt des Scherzos einer Viertelnote des Andantes (3/4) entsprechen würde, so dass in der gemeinsamen Durchführung der beiden Teile ersterer von letzterem überlagert werden könnte. (Es ist mir gelungen, das Problem zu lösen.) Das Finale nimmt – wie bei Beethovens Neunter – sämtliche Themen noch einmal auf. Doch in meiner Symphonie erscheinen sie nicht als reine Zitate; ich mache etwas aus ihnen, sie werden zu neuen Elementen.“

Guy Ferchault bringt die Qualität der Franckschen Musik in einem Artikel aus „Musik in Geschichte und Gegenwart“ (Kassel 1955) gewissermaßen auf den Punkt: „Trotz der Weite der Melodik und ihres starken, manchmal gespannten Lyrismus bewahrt die Musik César Francks immer einen freundlichen, innigen und milden Charakter. (...) Während Berlioz vor allem im Ausdruck dämonischer Gefühle exzellierte, galt César Francks Vorliebe dem Ausdruck seraphischer Seelenzustande. Dies sind die zwei Gegenpole der französischen Romantik. Aber während Berlioz ein Einzelfall war und ohne Nachahmer blieb, machte César Franck Schule.“

Parallelen tun sich auch zu Leben und Werk Anton Bruckners auf. Beide waren kompositorisch eher Spätberufene, gefeierte Organisten und streng gläubige Katholiken, bisweilen etwas verschroben und eigenwillig. Der individuelle Umgang mit dem musikalischen Material in der d-Moll Symphonie, verpackt als zyklische Form, gibt ein faszinierendes Zeugnis davon.

© Ursula Magnes