Chronik
zurück



Neujahrskonzerte 2006





Werkeinführung

Ein Funke, der die Leute mitreißt

Die Begeisterung für die Musik von Joseph Haydn und W. A. Mozart brachte dem jungen Rossini, der die Werke dieser Meister in der Bibliothek seines Lehrers Don Giuseppe Malerbi kennen lernte, den Spitznamen "Il tedeschino" (der kleine Deutsche) ein. Rossini war mit der berühmten spanischen Koloratursopranistin Isabella Colbran verheiratet, was ihn zum Komponieren zahlreicher ernster Frauenpartien abseits der Opera buffa veranlasste. 1831 trennte man sich, Rossini verließ die Opernbühne und wandte sich in Paris den Kochkünsten zu. Er unterhielt einen gefragten Salon und empfing 1860 sogar Richard Wagner. Man legt ihm sogar die Worte in den Mund: "Essen, Lieben, Singen und Verdauen, das sind – in Wahrheit gesprochen – die vier Akte der komischen Oper, die ‚Das Leben’ heißt und vergeht, wie der Schaum einer Flasche Champagner. Rossini beschränkte sich ab sofort auf "Péchés de viellesse" (Sünden des Alters), wie er es nannte. Kleinformatige Instrumental- und Vokalmusik. 1991 schreibt der Musikwissenschafter Volker Scherliess über das allgemeine Rossini-Bild: "Wer sich den ‚typischen Rossini’ vorstellt, meint im Grunde zwei verschiedene Personen. Was wir hören, ist die Musik eines jungen Mannes; was wir dagegen vor Augen haben, ... [ist] jener wohlbeleibte ältere Herr, den die späten Bildnisse, insbesondere die zahlreichen Aufnahmen von Nadar und anderen Pariser Fotografen zeigen." Die Ouvertüre zu der Farsa Comica "La scala di Seta" (Die seidene Leiter) aus dem Jahr 1812 - Rossini ist gerade zwanzig und feiert erste Erfolge in Venedig - fordert vom Solooboisten zungenbrecherische Akrobatik.

Josef Strauß - er gilt als der "lyrische" innerhalb der Strauß-Dynastie - wirkte ursprünglich als Erfinder und Techniker, ehe er sich der Musik zuwandte. Seine Werke sind stark von der Tonsprache Franz Schuberts beeinflusst. Die Polka Mazur "Die Libelle" stellt eine feinfühlige Naturschilderung dar, in welcher am Beginn des Stückes von den Streichern in flirrenden Punktierungen und Akzenten der Flug einer Libelle musikalisch nachgezeichnet wird.

Emmerich Kálmán, neben Franz Lehár einer der wichtigsten Vertreter der "silbernen" Wiener Operettenära, verband wie kaum ein anderer den Zauber ungarischer und Wiener Musik. Er wollte mit seinen Kompositionen in erster Linie gefallen, denn "schon das einfachste Lied, der kleinste Walzer muss erfunden sein und muss jenen ganz gewissen zündenden Funken haben, der die Leute mitreißt". Seine Melodien wurden zu weltweit gefeierten Schlagern, so auch das Lied "Höre ich Zigeunergeigen" der Gräfin Mariza aus der gleichnamigen Operette (Uraufführung 1924, Theater an der Wien) – tiefes Sentiment eingepackt in gekonnt verarbeitete Elemente ungarischer Volksmusik.

Beschäftigt man sich mit der Musik der Strauß-Dynastie, kommt man nicht umhin, Prof. Franz Mailer, der sich ein Leben lang mit den Werken dieser Familie beschäftigt hat, zu lesen und folglich auch zu zitieren. Sein detailliertes Hintergrundwissen ist eine wahre Fundgrube für die Geschichte und Geschichten, welche hinter den einzelnen Noten stecken. Zu den "Nordsee-bildern", weiß er folgendes zu berichten: "In den Sommern der Jahre 1878 und 1879 machte Johann Strauß mit seiner zweiten Gattin Angelika Urlaub in Wyk auf der Nordseeinsel Föhr. Dort erhielt er Impressionen für den Walzer ‚Nordseebilder’, der am 18. November 1879 im Musikverein zum erstenmal dem Publikum vorgestellt wurde. Ein prägnantes Tonbild in der Introduktion und die übliche Andeutung eines Seesturmes in der Coda charakterisieren diesen kunstreichen Konzertwalzer."

Die romantische Operette "Das Land des Lächelns" gehört zu den späten, deutlich an der großen Oper orientierten Werken aus der Feder Franz Lehárs. Er beherrscht die musikalisch geführte Psychologie seiner Protagonisten meisterhaft und verknüpft fernöstliche Stimmungsbilder mit jenem unüberhörbaren Wiener Charme – spielt doch die Handlung nicht zuletzt 1912 in Wien und Peking. Das Lied "Dein ist mein ganzes Herz" des Prinzen SouChong bedeutet für jeden Tenor einen dezidierten Auftrag dem Publikum vokalen Glanz zu liefern.

Wie sehr die Musik von Johann Strauß Sohn das Wiener Gesellschaftsleben dokumentiert, zeigt die Polka schnell "Freikugeln". Im Prater wurde 1868 ein "BundesSchützenfest" abgehalten, das Angehörige österreichischer und preußischer Truppen veranlasste, im Gegensatz zu militärischen Auseinandersetzungen ohne scharfe Munition auf Scheiben zu schießen. Es verlief alles ohne Zwischenfälle und nach dem friedlichen Wettstreit lag es an Johann Strauß Sohn seine "Freikugeln" musikalisch abzufeuern.

Die Operette "Wiener Blut" von Johann Strauß Sohn kam erst nach dem Tode des Komponisten am 6. Juni 1899 im Wiener Carl-Theater zur Uraufführung. Basierend auf persönlichen Angaben des Komponisten hat der Theaterkapellmeister Adolf Müller das Werk in eine adäquate Bühnenfassung gebracht. An allen Wirrungen und Irrungen trägt das "Wiener Blut" Schuld – so "voller Kraft, voller Glut" wie es im Text von Victor Léon und Leo Stein zu lesen steht.

Die Sängerin Bianca Bianchini, ohne italienischen Künstlernamen schlicht Bertha Schwarz, brachte am 1. März 1883 im Theater an der Wien im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung den Walzer "Frühlingsstimmen" in der Fassung für Gesang und Orchester zur Uraufführung. Schon ein paar Tage später präsentierte Eduard Strauß die, in der Instrumentierung stark abweichende, Fassung für Orchester – eine Art Coverversion aus der Strauß'schen Kompositionswerkstatt.

Die Mitternachts-Quadrille gehört noch heute zum feuchtfröhlichen Höhepunkt eines jeden Wiener Balles. Die Quadrille, auch "Quadrille à la cour" ist ein französischer Kontratanz, der zur Zeit Napoleons I. in Paris entstand. In der Regel ist der Tanz fünfteilig, mit einem abschließenden Galopp. Eine Weiterentwicklung der Quadrille bedeutet die Walzerquadrille, die mit einem Walzer abschließt. Die "Neue Melodien-Quadrille" von Johann Strauß folgt Motiven aus Werken Giuseppe Verdis. Populäre Opernmelodien der damaligen Zeit sind durchaus vergleichbar mit den Hits heutiger Charts; sie wurden dementsprechend musikalisch "wiederverwertet". Von Richard Wagner ist dazu der Satz überliefert, das Genie Johann Strauß Sohn betreffend: "Das ist der musikalischste Schädel, der mir je untergekommen ist."

Der "Lagunenwalzer" bezieht sich auf die erste Fassung der Operette "Eine Nacht in Venedig" (Uraufführung 1883, Berlin). Das Walzerlied "Auf der Lagune bei Nacht" des Guido, Herzog von Urbino, lautete ursprünglich "Nachts sind die Katzen ja grau, nachts tönt es zärtlich miau". Der Spott des Berliner Premierenpublikums forderte eine änderung des Textes. Fortan sang der Herzog "Ach, wie so herrlich zu schau’n, sind all’ die lieblichen Frau’n" – die Lagune überlebte einzig im Walzer.

Die Polka schnell "Par force" dirigierte Johann Strauß Sohn höchst persönlich im Rahmen eines so genannten "Blindenballes", am 8. Februar 1866. Mit diesen Bällen, stets besucht von der feinen Wiener Gesellschaft, lukrierte man finanzielle Unterstützung zur Betreuung blinder Mitbürger.

1878 schreibt Peter Iljitsch Tschaikowsky an seine Gönnerin Frau von Meck: "Das russische Element, das in meiner Musik vorhanden ist, das heißt die dem russischen verwandte Melodieführung und Harmonisierung, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ich in einer einsamen Gegend aufgewachsen bin und seit meiner frühesten Kindheit vom unbeschreiblichen Zauber echt russischer Volksmusik durchdrungen war, dass ich das russische Element in all seinen Erscheinungsformen leidenschaftlich liebe, mit einem Wort, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes Russe bin." Das Ballett "Der Nussknacker" beruht auf E. T. A. Hoffmanns Textvorlage "Nussknacker und Mäusekönig", welche Tschaikowsky durch eine Bearbeitung von Alexandre Dumas kennen lernte. Das durch die Musik farbig glitzernde Märchen beginnt am Weihnachtsabend im Hause Silberhaus, wo die kleine Clara und ihr Bruder Fritz einen wunderschönen großen Christbaum betrachten. Daraus entspinnt sich die Geschichte um den Nussknacker, der durch Claras Heldenmut zum Prinzen mutiert.

Die Uraufführung der Operette "Zarewitsch" fand am 16. Februar 1927 im Deutschen Künstlertheater in Berlin statt. Ein Spätwerk Franz Lehárs, geschrieben für den berühmten Tenor Richard Tauber. Es zeigt die sensible Sicht auf die Tragödie eines Mannes, dessen privates Glück auf dem Altar der Staatsräson geopfert wird. "Der Zarewitsch" hat wenig an beschwingt kitschiger Operettenseligkeit. Die Musik kommt vielmehr mit opernhafter Wucht einher - und zum Schluss kriegen sich die Liebenden dann doch nicht - eine weitere, der so genannten späten "Verzicht-Operetten" Lehárs. Das Lied der Sängerin Sonja "Einer wird kommen" ist von großem lyrischem Pathos erfüllt.

Johannes Brahms schätzte seinen Kollegen Johann Strauß im Fach der leichten Muse durchaus. Auf seinen Rat hin arrangierte Strauß aus bereits komponierter Musik der Operette "Prinz Methusalem" den effektvollen "Banditen Galopp".

© Ursula Magnes