Chronik
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Sommerkonzerte 2006

Dvorák - Mozart - Mahler






Werkeinführung

Einmal Böhmen und zurück – ein „mahlerischer“ Sommer in Waidhofen

Antonín Dvorák: Bläser-Serenade d-Moll op. 44

Der „böhmische Brahms“ wird er genannt, Anto-nín Dvorák - berühmt für melodischen Reichtum und Klangfarben durch geschickte Instrumentation, was in der Bläser-Serenade sehr schön nachhörbar ist. Uraufgeführt wurde das Werk am 17. November 1878 auf der Moldau-Insel Zofin. Dabei folgt Dvorák dem klassischen Serenaden-Typ, Freiluftmusiken für die Nachmittagsunterhaltungen aristokratischer Gartenfeste. Er beweist Humor und Gespür für dezente Ironie. So ist der erste Satz die noble Variante eines „marzialischen“ Marsches. Der zweite Satz entpuppt sich mehr als tschechischer Ländler denn als stilisiertes Menuett des Rokoko – darin verpackt ein lebhafter Furiant, Paartanz des späten 18. Jahrhunderts, in dem es ordentlich „zur Sache“ geht. Das Herz öffnet sich dem Zuhörer im dritten Satz: Klarinette und Oboe haben alle Freiheiten sich der zart nachschlagenden Begleitung zu entziehen, abzuheben und zu entschwinden. Dieser melodiöse Zauber mündet in eine ausgelassene Polka. Fast möchte man „Prost!“ rufen und selbst mittanzen.

Das gesamte Werk erinnert sehr an W. A. Mozarts Gran Partita und erinnert auch daran, dass gut hundert Jahre vor der Uraufführung des Werkes ganz Prag im Mozart-Fieber lag, was die Wiener nur zum Teil amüsierte. Zum kompositorischen Umfeld der Serenade gehören Dvoráks sechste Symphonie und die Oper Der Bauer ein Schelm. Der Komponist beschäftigt sich zu dieser Zeit zusehends mit den musikalischen Wurzeln seiner Heimat, was sich besonders in den verarbeiteten Tanzweisen (Furiant, Soudsedká) äußert.

Der deutsche Komponist und Musikkritiker Louis Ehlert bringt es 1878 mehr oder weniger auf den Punkt: „Hier ist endlich wieder einmal wieder ein ganzes, und zwar ein ganz natürliches Talent. Ich halte die Slawischen Tänze für ein Werk, das ebenso die Runde durch die Welt machen wird, wie die ungarischen Tänze von Brahms ... Eine himmlische Natürlichkeit flutet durch diese Musik, daher sie ganz populär ist ... Wir haben es hier mit vollendet künstlerischen Arbeiten, nicht mit einem Pasticcio zu tun, das aus nationalen Anklängen zufällig zusammen geronnen ist.“ So verhält es sich auch mit der Bläser-Serenade, obwohl sie immer etwas im Schatten der Streicher-Serenade E-Dur op. 22 steht – zu unrecht!

W. A. Mozart: Konzert für Horn und Orchester Es-Dur KV 417

Widmungsträger der vier Hornkonzerte Mozarts ist der Salzburger Hornist Ignaz Leutgeb, ein Virtuose, der in späteren Jahren in Wien seinen Lebensunterhalt als Käsehändler verdiente, was Mozart sehr amüsiert haben dürfte. So schreibt er zum betreffenden Hornkonzert: „Wolfgang Amadé Mozart hat sich über den Leutgeb Esel, Ochs, und Narr, erbarmt zu Wien dem 27. May 1783.“

Das Solo-Horn konzertiert mit Streichern, zwei Oboen und Hörnern, wobei Mozart entweder die Bläser oder die Streicher antworten lässt, was zu einer subtil nuancierten Klangsprache führt. Der 1. Satz Allegro maestoso folgt der klassischen Sonatenhauptsatzform, wobei Mozart viel lieber musikalische Gedanken aneinander reiht denn verarbeitet. Nichts folgt einem Schema und verbreitet doch Ordnung und Harmonie. Der 2. Satz Andante ist gänzlich gerafft, die Durchführung entfällt und die Reprise erfährt eine deutliche Kürzung. Eine Jagdszenerie entfacht das finale Rondo, gepaart durch solistische Virtuosität und pulsierendem übermut in den Begleitfiguren. Ein kantabler Einschub beruhigt das Treiben im 6/8-Takt, ehe eine stretta-artige Coda alle Beteiligten ins Ziel führt. Was bleibt ist, „die Strecke zu legen“, durchzuatmen und zu entspannen – nicht nur die Flinte.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur (1888)

Reinhold Kubik, Vizepräsident der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft Wien und Herausgeber der Kritischen Gesamtedition Mahlers Werke, schreibt: „Mit der I. Symphonie schlägt Mahler das Buch seines symphonischen Schaffens auf. Auf dieser ersten Seite sind alle Themen zu finden, die sein weiteres Leben begleiten werden: Natur, Wandern, Sehnsucht, Liebe, die Suche nach dem Sinn des Lebens innerhalb und außerhalb der Religionen, Verzweiflung, Satire, Humor, das Scheitern, der Tod und der Triumph. Mahlers Verhältnis zur Programmmusik wird hier konstituiert: Seine Werke sind keine Programmmusik, die Abläufe schildert, wohl aber tönende Behälter für poetische, psychische, physische, metaphysische, religiöse oder weltanschauliche Ideen und Vorstellungen. Die Sympathie Mahlers gehört dabei stets den Leidenden, Schwachen, Unterdrückten. Der 3. Satz basiert auf dem parodistischen Bild „Des Jägers Leichenbegängnis“, auf dem die Tiere des Waldes den toten Jäger in einer musizierenden Prozession begleiten. Mahler schrieb noch 1909 nach der New Yorker Aufführung des Werkes über diesen Satz und den eruptiven Beginn des Finales: ‚Was ist das für eine Welt, welche solche Klänge und Gestalten als Widerbild auswirft. So was wie der Trauermarsch und der darauf ausbrechende Sturm erscheint mir wie eine brennende Anklage an den Schöpfer.’ Es wundert nicht, dass eine solche Musik zu ihrer Zeit und noch lange danach überwiegend auf heftige Ablehnung stieß. Erwin Ratz schrieb einmal so treffend, der ‚ironische und bittere Charakter’ von Mahlers Musik würde den Menschen einen ‚Spiegel vorhalten’, auf den sie ‚dann so bitter reagieren’.“

Die 1. Symphonie entstand in einem wahren Schaffensrausch des 28-jährigen Mahler, der 1888 am Leipziger Stadttheater als Kapellmeister tätig war. Die Uraufführung des Werkes am 20. November 1889 in Budapest löste Verwunderung aus. Mahlers Studienfreund Friedrich Löhr schildert die Stimmung des Publikums: „Der Pester Kreis um Mahler war tief bewegt, ein erheblicher Teil des Publikums hier wie sonst Neuartigem gegenüber lieblos unverstehend, besonders durch die dynamische Heftigkeit tragischen Ausdrucks, wie sie hier sich austobte, aus gedankenloser Gewöhnung unliebsam aufgescheucht. Einer eleganten Dame neben mir entfielen bei der in den letzten Satz überleitenden Attacca sämtliche Gegenstände, die sie in den Händen hielt, zu Boden, so war ihr der Schreck in die Glieder gefahren.“ Die Musikkritik riet Mahler eher das Dirigieren, denn das Komponieren zu forcieren... er fühlte sich klarerweise unverstanden. So verfasste er für die nächsten Aufführungen in Hamburg und Weimar ein erläuterndes Programm:

Titan, eine Tondichtung in Symphonieform

1. Teil – Aus den Tagen der Jugend, Blumen-, Frucht- und Dornenstücke.
I. Frühling und kein Ende (Einleitung und Allegro comodo) Die Einleitung stellt das Erwachen der Natur aus langem Winterschlafe dar.
II. Blumine (Andante).
III. Mit vollen Segeln (Scherzo).

2. Teil – Commedia humana
IV. Gestrandet! (ein Totenmarsch in Callot’s Manier)

Zur Erklärung dieses Satzes diene Folgendes: Die äußere Anregung zu diesem Musikstück erhielt der Autor durch das in österreich allen Kindern wohlbekannte parodistische Bild: Des Jägers Leichenbegängnis, aus einem alten Kindermärchenbuch: Die Tiere des Waldes geleiten den Sarg des verstorbenen Jägers zu Grabe; Hasen tragen das Fähnlein, voran eine Kapelle von böhmischen Musikanten, begleitet von musizierenden Katzen, Unken, Krähen etc., und Hirsche, Rehe, Füchse und andere vierbeinige und gefiederte Tiere des Waldes geleiten in possierlichen Stellungen den Zug. An dieser Stelle ist dieses Stück als Ausdruck einer bald ironischen lustigen, bald unheimlich brütenden Stimmung gedacht, auf welche dann sogleich V. Dall’ Inferno (Allegro furioso) folgt, als der plötzliche Ausdruck eines im Tiefsten verwundeten Herzens.“

Auch diese Worte nützten dem Verständnis des Werkes nichts. Mahler verwarf Programm und Titel der Symphonie – der Blumine-Satz wurde in der überarbeitung 1896 gänzlich gestrichen.

Interessant, was Arnold Schönberg und Theodor Wiesengrund über Mahlers Musik schreiben und denken. 1913 formuliert Schönberg: „ Was an Mahlers Instrumentation in erster Linie auffallen muss, ist die fast beispiellose Sachlichkeit, die nur das hinschreibt, was unbedingt nötig ist. Sein Klang entsteht nie durch ornamentale Zutaten, durch Beiwerk, das nur als Schmuck aufgesetzt wird. Sondern: wo es rauscht, da rauschen die Themen; da haben die Themen solche Gestalt und so viele Noten, dass sofort klar wird, wie nicht das Rauschen der Zweck dieser Stelle, sondern ihre Form und ihr Inhalt ist. Wo es ächzt und stöhnt, da ächzen und stöhnen die Themen und Harmonien; wo es aber kracht, da stoßen Baukolosse hart aneinander; die Architektur kracht; die architektonischen Spannungs und Druckverhältnisse revoltieren. Aber zum schönsten gehören die zarten, duftigen Klänge.“ 1960 schreibt Adorno über die Gegensätzlichkeiten Mahlers Musik: „Seine Symphonien und Märsche sind keine des disziplinierenden Wesens, das triumphal alles Einzelne und alle Einzelnen sich unterjocht, sondern sammeln sie in einem Zug des Befreiten, der inmitten Unfreiheit, anders nicht zu tönen vermag denn als Geisterzug.“

Mahler sprach immer davon, dass seine Zeit noch kommen wird. Er sollte Recht behalten. Die Herausforderung, seine penibel ausformulierte Partitur in Waidhofen zum Klingen zu bringen, darf auf wache, neugierige und vor allem offene Ohren hoffen. Mahler live ist die einzige Chance, seinen symphonischen Kitzel wirklich zu spüren.

© Ursula Magnes