Chronik
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Herbstkonzerte 2007


Franz Schubert: Magnificat - Messe in Es-Dur



















Werkeinführung

Franz Schubert: „Lieben und Maul halten!“

In einem Brief an seinen Vater vom Juli 1825 erklärt Franz Schubert seine Fähigkeit eine tiefe und menschliche Frömmigkeit auszudrücken: „Ich glaube, das kommt daher weil ich mich zur Andacht nie forcire, und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie dergleichen Hymnen oder Gebete componire, dann aber ist sie auch gewöhnlich die rechte und wahre Andacht.“ Da ist es nicht weit zu Albert Einsteins knappen, aber umso prägnanteren Antwort auf eine Umfrage der „Vossischen Zeitung“ in Berlin, vom 18. November 1928 zu Schuberts 100. Todestag: „Zu Schubert habe ich nur zu bemerken: Musizieren, lieben – und Maul halten!“ Schubert, der sich kaum bis gar nicht gesellschaftlichen Normen unterordnete, bestand auf die Freiheit seiner Gedanken und Empfindungen: „Übrigens werde ich mit meinen Herzensgefühlen niehmals berechnen und politisiren, so wie’s in mir ist, so geb’ ich’s heraus und damit Punctum.“ Franz Welser-Möst spricht in diesem Zusammenhang in seinem jüngsten Buch „Kadenzen – Notizen und Gespräche“ von einer Hingabe an die kleine Welt: „Protestiert hat dieser Komponist auf seine Weise, introvertiert, indem er etwa die Textzeile „et unam sanctam catholicam ecclesiam“ im Credo seiner Messen einfach ausgelassen hat. Er war klein Revolutionär. Er ging lieber in die innere Emigration. Er entwirft, hierin Robert Schumann ähnlich, seine eigenen kleinen Welten, doch erzählt er uns die Wahrheit über sich und sein reiches Innenleben, aber auch die über seine angeblich so „biedermeierliche“ Zeit.“

Magnificat: „klassisch wienerisch“

1815 komponierte Schubert neben 150(!) Liedern seine einzige Vertonung des Magnificat. Dabei unterteilte er den Lobgesang Mariens in drei Abschnitte. Die Dankesworte Mariens für die ihr zugedachte Gnade Gottes packt Schubert in ein feierlich kräftiges „Allegro maestoso“, in dem Chor und das gesamte Orchester gemeinsam jubeln. Das darauffolgende „Andante“, das von den Taten Gottes für die Menschen erzählt, ist im musikalischen Gestus ganz zurückgenommen. Streicher, Oboe und die vier Solostimmen wechseln einander ab. Das abschließende feierliche „Gloria patri“ besticht durch einen ausladenden Amen-Teil. Steht das Magnificat weitgehend in der Tradition klassischer Wiener Kirchenmusik, weist die dreizehn Jahre spätere entstandene Es- Dur-Messe weit in die Zukunft, als reichten einander Mozart und Bruckner via Schubert die Hand. Der österreichische Komponist Egon Wellesz rückte ihn verdienstvoller Weise aus dem „Dreimäderlhaus-Klischée“: „Wäre Schubert der leichtlebige Mann aus der Biedemeierzeit, wie er leider zu legendären Figur geworden ist, und nicht die in alle Tiefen und Höhen dringende, dämonisch zu nennende Persönlichkeit, wie ließen sich Lieder wie „Grenzen der Menschheit“, die „Gruppe aus dem Tartarus“, „Amalia“, „Iphigenia“, „Waldesnacht“ begreifen, wie das Quartett in GDur, wie die Es-Dur-Messe, Werke, die eine fast mythische Scheu offenbaren?“

Messe Nr. 6 Es-Dur D 950 „Mythische Scheu“

Franz Schuberts zweite große Messe neben der As-Dur-Messe, vollendet 1822, entstand in seinem Todesjahr 1828. Er selbst sollte das Werk nie hören. Angeregt durch seinen Jugendfreund Michael Leitermeyer, Regens Chori der Alservorstädter Pfarrkirche Maria Trost, wurde die Messe am 4. Oktober 1829 unter Leitung von Schubers Bruder ferdinand uraufgeführt. Johannes Brahms, auf den die Messe zeit seines Lebens einen unglaublich starken Eindruck machte, hat den Klavierauszug gründlich überarbeitet und herausgebracht. In einem Brief an Johann Baptist Gänsbacher schreibt er im Zuge dieser Tätigkeit, „dass das Werk möglichst künstlerisch und anständig, wie sich’s bei dem Manne und unserer Liebe für ihn schickt, in die Welt gesandt wird.“

In einem Brief an Johann Baptist Jenger vom 4. Juli 1828 lässt Schubert seinen Freund wissen, dass er „fleißig an einer neuen Messe“ komponiere und Bruder Ferdinand war sich sicher, dass diese Messe „gewiss eines seiner tiefsten und vollendetsten Werke“ darstellen wird. Schuberts Zeitgenossen sahen das ganz anders und lehnten die Messe durch die Bank ab. Zu radikal brach Schubert mit gängigen Konventionen. Man bemängelte die ausladende Länge, den düsteren Grundton, die kühne Harmonik, eine zu aufwendige Instrumentierung und den technischen Schwierigkeitsgrad. So schreibt der Kritiker der Leipziger Allgemeinen Zeitung zur zweiten Aufführung der Messe in Maria Trost, dass „diese Arbeit des sehr verehrten Tonsetzers keineswegs befriedigte. Der vorherrschend düstere Styl passt weit eher zu einem Requiem; alle Sätze sind bis zur Ermüdung ausgesponnen, meistens rhapsodisch; mit Blasinstrumenten, sonderlich Posaunen, überladen, die zweckmäßige Lage und Stellung der Singstimmen fast immer verfehlt ... eine Ausweichung reicht der anderen die Hand, in den Fugen gewahrt man den vergossenen Angstschweiß, und auch von der Ausführung kann wenig nur mit Ehren vermeldet werden.“ Weitaus Freundlicheres konnte man in der Wiener Allgemeinen Theaterzeitung lesen: „Sie ist seine letzte und größte, und wie viele Kenner behaupten, auch seine schönste [Messe], nach deren Beendigung fast unmittelbar ihn der unerbittliche Tod allzu früh ereilte. In diesem großen Musikstücke herrscht ein ganz eigener Charakter, der schon das Kyrie beurkundet. In der Tonart Es wird es harmonisch vom Violoncello und Kontrabass eröffnet, ergreift gleichsam gewaltig den Zuhörer, und führt ihn zum Gebethe ein. Dann beginnen ganz leise die Singstimmen, die sich nach und nach mit der übrigen Instrumental-Musik in herrlichen Übergängen und Modulationen vereinen und so crescendo bis zur höchsten Kraft fortschreiten. Mit Recht muss man das ganz Werk wahrhaft großartig nennen, und die Verbreitung desselben jedem Freund echter erhebender Kirchenmusik, und allen Verehrern des unvergesslichen Komponisten dringend an’s Herz legen.“

Im Gegensatz zur As-Dur-Messe, an der Schubert zahlreiche Änderungen vornahm um sich damit um eine Stellung in der Hofmusikkapelle zu bewerben, scheint die Es-Dur- Messe wie aus einem Guss geformt. Es ist dies ein sehr persönlicher Ausdruck des Glaubens in die Form einer Konzertmesse gebracht. Weihrauchfrei dem Menschen zugewandt wie es später das Deutsche Requiem von Johannes Brahms sein sollte. Das „Et in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam“ („Ich glaube an die eine heilige katholische und apostolische Kirche“) im Credo verweigert Schubert konsequent und geht damit im Sinne der Aufklärung auf Distanz zu den Lehren der Kirche. Manche Musikwissenschafter sehen darin auch den einfachen Grund mangelnder Lateinkenntnisse. Beides hat für den unheimlichen Sog der Musik keinerlei Bedeutung. Seine „Längen“ erstrecken sich über das Ordinarium (Kyrie – Gloria – Credo – Sanctus – Benedictus – Agnus Dei) zu einem in die Ferne ziehenden „Dona nobis pacem“, ein Hinübergleiten in eine andere Welt.

© Ursula Magnes