Chronik
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Frühjahrskonzert 2009 - Werkeinführung

Vom Ablehnen, barocken Vorbildern und „stinkenden“ Violinkonzerten

Peter Iljitsch Tschaikowsky: Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll, op. 23
Peter Iljitsch Tschaikowsky war zutiefst verletzt und gekränkt, als er 34-jährig von seinem Freund und Mentor Nikolaj Rubinstein eine absolute Geringschätzung seines ersten Klavierkonzertes erfahren musste. Ein Brief an seine Mäzenin Frau Nadeschda von Meck, die er trotz rund 1200 Briefe nie persönlich kennenlernte, bestätigt sein Entsetzen:
„Ich spielte den ersten Satz. Nicht ein Wort, nicht eine Bemerkung ... Ich fand die Kraft, das Konzert ganz durchzuspielen. Weiterhin Schweigen. ,Nun?‘ fragte ich, als ich mich vom Klavier erhob. [...] Mein Konzert sei wertlos, völlig unspielbar. Die Passagen seien so bruchstückhaft, unzusammenhängend und armselig komponiert, dass es nicht einmal mit Verbesserungen getan sei. Die Komposition selbst sei schlecht, trivial, vulgär. Hier und da hätte ich von anderen stibitzt. Ein oder zwei Seiten vielleicht seien wert, gerettet zu werden; das Übrige müsse vernichtet oder völlig neu komponiert werden. ...“
Tschaikowsky änderte daraufhin jedoch vorerst keine einzige Note und schickte die Partitur unversehens an den Dirigenten Hans von Bülow, der das Konzert höchstpersönlich am 25. Oktober 1875 in Boston zur Uraufführung brachte. Dieser zeigte sich begeistert und schrieb an den Komponisten:
„Die Ideen sind so originell, so edel, so kraftvoll ... Die Form ist so vollendet, so reif, so stilvoll ... Ich würde ermüden, wollte ich alle Eigenschaften ihres Werkes aufzählen, Eigenschaften welche mich zwingen, dem Komponisten sowie allen Denjenigen, welche das Werk aktiv oder passiv genießen werden, in gleichem Maße meine Gratulation darzubringen.“
Interessanterweise revidierte Rubinstein vier Jahre später etwas „reumütig“ seine Meinung und verhalf dem Werk durch eine fulminante Pariser Aufführung 1878 in Paris zum endgültigen und weltweitem Durchbruch.

Die wuchtigen ersten Takte des ersten Satzes werden von vielen Menschen dem Namen Herbert von Karajan mit Klassischer Musik gleichgesetzt. Ungeachtet dessen scheint das Formschema des Sonatenhauptsatzes, Quintessenz der Wiener Klassik, für Tschaikowsky Schnee von gestern. Er setzt sich ganz einfach darüber hinweg und lässt seiner Impulsivität freien Lauf. Nicht zuletzt ein Grund, warum dieses Klavierkonzert in punkto Popularität Kultstatus besitzt.

Zart und nobel eröffnet die Querflöte den zweiten Satz ehe im Mittelteil der Klavierpart über das französische Lied "Il faut s'amuser, danser et rire“ („Man muss sich vergnügen, tanzen und lachen“) prestissimo brilliert. Den Part der Querflöte übernimmt ausklingend am Ende des Satzes die Oboe im Dialog mit dem Klavier. Ein klassisches Rondo über ukrainische Volkstänze bietet der dritte Satz. Die Satzbezeichnung „Allegro con fuoco“ legt schon allein und für sich sprechend die Fährte zu feuriger Virtuosität im Wechselspiel des Solisten mit dem Orchester. Dem Pianisten Alexander Siloti, nebenbei auch Cousin von Sergej Rachmaninow, war das Ganze etwas gar zu lang. Seine gekürzte Fassung ist zumeist Grundlage heutiger Aufführungen.


Robert Schumann: Konzertstück für vier Hörner und großes Orchester F-Dur, op. 86 Als „etwas ganz curioses“ bezeichnete Robert Schumann sein Konzertstück in F-Dur für vier Ventilhörner. Vorangegangen ist der Komposition die intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bachs a-Moll-Konzert für vier Cembali, das wiederum eine Bearbeitung des Konzertes für vier Violinen op. 3/10 von Antonio Vivaldi darstellt. Sozusagen back to the future – ein Blick zurück nach vorn. Robert Schumann setzte sich außerdem mit der barocken Form des Concerto grosso auseinander und kreierte aus der eingehenden Analyse zutiefst Eigenes:
„Das Studium der Geschichte der Musik, unterstützt vom lebendigen Hören der Meisterwerke der verschiedenen Epochen, wird dich am schnellsten von Eigendünkel und Eitelkeit curieren.“
So heißt es unter anderem in Schumanns Haus- und Lebensregeln. Dazu kamen die zu dieser Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland neuen technischen Möglichkeiten des Ventilhorns im Gegensatz zum Naturhorn. Die daraus resultierenden erweiterten Spielmöglichkeiten, erkundete Schumann schon 1849 im kammermusikalischen „Adagio und Allegro“ op. 70 für Horn und Klavier. Die Satzfolge des gut 18-minütigen (Aufnahme mit Sir John Eliot Gardiner, 1998) Konzertstückes „Lebhaft – Romanze – Sehr lebhaft“ verpackt gewissermaßen großräumige Naturempfindung und die von jeher bekannte Verwendung des Jagdhorns als Fanfareninstrument in ein neues, bis dato noch nie dagewesenes, Ganzes. Als würde sich verinnerlichter Märchenzauber spazierend und über Täler hinweg unterhalten. Dass dazu von Seiten der vier Hornisten größte Virtuosität von Nöten ist, versteht sich von selbst. Die Uraufführung fand unter großem Staunen 1850 im Leipziger Gewandhaus statt. An der technischen Herausforderung hat sich bis heute, zumal am Wiener Horn, nichts geändert.


Peter Iljitsch Tschaikowsky: Violinkonzert in D-Dur, op. 35 Die Uraufführung des einzigen Violinkonzertes Tschaikowskys fand in Wien statt! Nach der Ablehnung durch den Virtuosen Leopold Auers, er befand das Werk zunächst für unspielbar, übernahm der Geiger Adolf Brodsky gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter am 4. Dezember 1881 die Erstaufführung. Kritikerpapst Eduard Hanslick war wenig begeistert und sprach von einer Musik, „die man stinken“ hört. Welche unterhaltende Sinnesverquickung. Im Gegensatz zu seinen desaströsen privaten Umständen – die Hoffnung durch eine Ehe seine Homosexualität überwinden zu können scheiterte - denen er im Rahmen eines Erholungsurlaubes am Genfer See zu entfliehen hoffte, gelang Tschaikowsky mit dem Violinkonzert binnen weniger Wochen ein echter Wurf. Er beschreibt in einem Brief an Frau von Meck am 10. März 1878 das Glück der kompositorischen Arbeit:
„In solchem Gemütszustand verliert das Schaffen gänzlich das Gepräge der Arbeit; es ist reinste Seligkeit. Während des Schreibens spürt man gar nicht, wie die Zeit vergeht.“

Die Musikwissenschafterin Natalja Schumskaja spricht in diesem Zusammenhang von der „Keckheit und Ungezügeltheit dieser tänzerischen Musik“. Zuweilen ist sogar vom musikalischen Ausdruck der „Überzeugung Tschaikowskys vom Sieg des Lebens über den Tod“ zu lesen. Die Noten sprechen für gewöhnlich ihre eigene Sprache und stellen den Solisten vor eine mehr als dankbare Aufgabe. Er oder sie übernimmt zwischen symphonischem Aufbau und konzertantem Prinzip die unangefochtene Führungsrolle. Erstaunlich, dass Tschaikowsky im überbordenden ersten Satz die Kadenz unmittelbar an die Durchführung anfügt, dem Drängen des „Taufpaten“ des Konzertes, dem Geiger Josef Kotek, nachgibt und die anfangs geplante Mazurka als zweiten Satz durch eine innig lyrische Canzonetta ersetzt. Um mit Tschaikowskys eigenen Worten zu sprechen: „Die Canzonetta ist geradezu herrlich. Wie viel Poesie und welche Sehnsucht in diesen Sons voilés, den geheimnisvollen Tönen!“ Aus dem ursprünglich geplanten Mittelsatz wurde später die „Méditation für Klavier und Violine“ op. 42. Attacca subito, also unmittelbar in den Finalsatz übergehend, präsentieren „russische Themen“ einen unüberhörbaren Grad an Lebensfreude. Ende gut, alles gut, möchte man meinen, ohne sich wie Beckmesser Hanslick, die Nase zuhalten zu müssen. Wohl gerochen.

© Ursula Magnes