Chronik
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Werkeinführung Herbstkonzerte 2010
Französisches: Durch und durch lebensfroh

Gabriel Fauré (1845-1924)
Selbst Schüler des jungen Camille Saint-Saëns, seinem Mentor, der ihm das Werk Robert Schumanns und Ludwig van Beethovens und das Opernschaffen Richard Wagners näher brachte, zählen wiederum Maurice Ravel und Nadia Boulanger zu seinen berühmtesten Studenten. Claude Debussy verglich die Anmut Faurés Musik mit jener, einer hübschen Frau, ohne der jeweiligen Gebärde zu nahe treten zu wollen. Sein musikalischer Stil ist geprägt durch die Auseinandersetzung mit den Kirchentonarten und der Auslotung der Dur-Moll-Tonalität. Er gilt als der bedeutendste französische Liedkomponist seiner Zeit. Am populärsten wurde über Umwege jedoch sein Requiem.

Requiem op. 48 (UA 1888; Erstfassung)
Befragt nach der Entstehungsgeschichte seines Requiem antwortete Fauré stets, es sei zu keinem bestimmten Zweck entstanden, vielmehr „wenn ich so sagen darf, zum Vergnügen“. Er hatte den jahrelangen musikalischen Trott bei Begräbnissen ganz einfach satt und komponierte etwas Eigenes, was den Pfarrer veranlasste, über so „Neumodisches“ die Nase zu rümpfen, „Vorhandenes würde doch genügen!“ Zumindest ist dem Geistlichen „das Neue“ aufgefallen.
Nicht der theatralische Aspekt beispielsweise des Zornes am Tag des Jüngsten Gericht - die Sequenz mit der Schilderung des „Dies Irae“ fehlt bei ihm zur Gänze, man vergleiche hier die Herangehensweise Giuseppe Verdis oder seines Landsmannes Hector Berlioz -, sondern der Tod als Befreiung und Erlösung steht im Zentrum der künstlerischen Aussage. 1902 bemerkte er gegenüber seinem Freund Louis Aguettant, einem Musikkritiker: „Man hat gesagt, mein Requiem drücke keine Todesfurcht aus, und einige nannten es gar ein Wiegenlied des Todes. Aber so sehe ich eben den Tod – als selige Befreiung, als sehnsuchtsvollen Schritt in jenseitiges Glück und nicht so sehr als schmerzliche Erfahrung.“
So entstanden nach einander das „Pie Jesu“, der „Introitus“ und das „Kyrie“, „In Paradisum“, „Agnus Dei“ und das „Sanctus“. Weit und breit kein loderndes Fegefeuer, vielmehr ein Trost spendender Begleitgesang für den Weg in das Ewige Leben. „Das [Requiem] ist genauso sanftmütig wie ich selbst“, schrieb Fauré 1900 an seinen Kollegen Eugène Ysaÿe.
Als Kapellmeister der Pariser Stadtkirche St. Madeleine brachte Fauré die erste Fassung mit besagten fünf Teilen am 16. Jänner 1888 im Rahmen eines Trauergottesdienstes erstmals zur Aufführung. Später erweiterte er das kleine Streicherorchester samt Orgel, Harfe und Pauke um zwei Hörner, zwei Trompeten und zwei Fagotte. Das Offertorium ist überhaupt in Etappen entstanden. Entworfen 1887, wurde das „Hostias“ (Bariton-Solo) erst im Frühjahr 1889 fertig gestellt, der kanonisch umrankende Chor fünf Jahre später (1895) hinzugefügt. Das „Libera me“ komponierte Fauré bereits 1877 für Sopran-Solo und Orgel und fügte es 1881 gemeinsam mit drei Posaunen-Stimmen zwischen „Sanctus“ und „Agnus Dei“ ins Requiem ein. Trotz dieser „Mogelpackungen“ erscheint das Werk in sich ruhend und wie aus einem Guss geformt.
Die ursprüngliche Orchestrierung Faurés – keine hohen Streicher und Holzbläser! - war äußerst originell und den beschränkten Mitteln der Madeleine mehr oder weniger angepasst. Sein Verleger Hamelle überredete ihn aus verkaufstechnischen Gründen eine Konzertfassung für großes Symphonieorchester zu schreiben. Der Komponist stimmte zu, überließ die Ausführung aber gänzlich seinem Schüler Roger Ducasse. So gibt es heute eine „authentische“, den ursprünglichen Intentionen Faurés folgende „Kirchenfassung“ und eine auf große Wirkung ansetzende „Konzertfassung“. Beides hat seine Berechtigung, so man über die Entstehungsgeschichte Bescheid weiß.

Francis Poulenc (1899-1963)
1977 schreibt der amerikanische Komponist Ned Rorem launig wie treffend: „Man nehme Chabriers Dominantseptakkorde, Ravels große Septimen, Faurés schlichte Dreiklänge, Debussys kleine Sexten, Mussorgskys erweiterte Quarten, filtere sie wie Satie durch die Quintsextakkorde des Vaudville (...) mische einen Schoppen Couperin mit zwei Schoppen Strawinsky, und man bekommt die Harmonik von Poulenc.“ Das trifft den Kern durchaus. Poulenc ist ein be-kennender Eklekti-ker mit einer Eigenständigkeit, die sich sofort erkennen lässt. Eine Kunst für sich, die Poulenc mit den Worten erklärte: „Ich weiß, dass ich keiner jener Komponisten bin, die harmonisch innovativ wirken. Aber ich denke, dass es Raum auch für jene Art neue Musik gibt, die sich nicht scheut, anderer Leute Akkorde zu benutzen.“
Poulenc „le moine et le voyou“ („Mönch und Strolch“) beschrieb ihn 1950 Claude Rostand, französischer Schriftsteller und Musikkritiker. Der homosexuelle Komponist fand nach dem tragischen Tod seines Freundes Pierre-Octave Ferroud zum Katholizismus seiner Kindheit, was ihn nicht hinderte, nach einer kurzen Affäre mit einer Frau, nicht als Vater, sondern als „Patenonkel“ für die Erziehung des Kindes zu sorgen.
1920 nahm Poulenc Unterricht bei Charles Koechlin, der darauf bestand, dass sich der „Harmoniker“ Poulenc mit dem Kontrapunkt der Renaissance und des Frühbarock auseinander setzte. Poulenc erinnert sich: „Nachdem er bald gemerkt hatte, dass ich wie viele Südländer eher ein Harmoniker als ein Kontrapunktiker war, ließ er mich Bach-Choralmelodien vierstimmig harmonisieren, währen ich an meinen Kontrapunktübungen weiter arbeitete. Diese Arbeit, die mich faszinierte, hatte einen entscheidenden Einfluss auf mich. Durch diese Choräle entwickelte ich ein Gefühl für Chormusik.“

Gloria, G-Dur
Poulencs Gloria geht auf einen Kompositionsauftrag der Serge Koussewitzky Stiftung zurück: „Zuerst baten sie mich um eine Symphonie. Ich sagte ihnen, dass ich nicht für Symphonien geschaffen war. Dann baten sie mich um ein Orgelkonzert. Ich sagte ihnen, dass ich schon eines geschrieben hatte und kein weiteres schreiben wollte. Dann sagten sie endlich: Also gut, dann schreiben sie, was sie wollen.“
Der selbstbewusste und doch stets zweifelnde Poulenc, er erlitt während der Komposition seiner Oper „Dialogues des Carmélites“ einen Nervenzu-sammenbruch, was bei der Wahl des Stoffes nicht wirklich verwundert, hatte auch bei der Komposition des „Gloria“ seine Bedenken. In Briefen an seinen lebenslangen Freund, den französischen Bariton Pierre Bernac, beschreibt er die turbulente Beobachtung der Probenarbeit Charles Münchs vor der Uraufführung in Boston: „ (...) was das Gloria betrifft – wenn ich nicht gekommen wäre, welch seltsame Musik die Welt gehört hätte! Der liebe, bezaubernde, vorzügliche Charlie [Münch] hat genau gar nichts verstanden (...). Ich kam etwas spät zur ersten Chorprobe und hörte etwas, das mir so unähnlich war, das mir auf der Treppe fast die Beine versagten (...) diese biederen Protestanten sangen alle zu hoch und schrill (besonders die Frauen) wie in London und mit dieser ´O, mein lieber Gott`- Einstellung. Münchs Tempi waren alle falsch – natürlich alle zu schnell (...) ich sage dir, ich wollte so weit wie möglich davon rennen.“
Doch die Unstimmigkeiten legten sich, und die Berichte Poulencs von der späteren Generalprobe lesen sich wie ausgewechselt: „Die Probe gestern war außerordentlich. Münch fand plötzlich Inspiration: die [Sopransolistin Adele] Addison macht einen verrückt, sie ist absolut himmlisch, mit jener warmen Neger-Reinheit [sic!] (...) Alle waren begeistert. Das ´Gloria` ist ohne Zweifel das Beste, was ich je gemacht habe. Die Orchestrierung ist herrlich (das Ende, unter Anderem, ist erstaunlich) (...) Das hat mir Selbstvertrauen gegeben, das ich dringend brauche.“

Über sein letztes Chorwerk „Sept répons des ténèbres“ meinte Poulenc etwas kokettierend: „Zusammen mit dem "Gloria" und "Stabat mater" denke ich, habe ich da drei gute religiöse Werke. Mögen sie mir ein paar Tage im Fegefeuer ersparen, wenn ich es schaffe, um Haaresbreite die Hölle zu vermeiden.“
Der Humor steckt auch im Detail. Das besonders fröhliche „Laudamus te“ ist inspiriert durch das Bild Fußball spielender Benediktinermönche, sowie die Werke des Malers Benozzo Gozzoli, mit munteren Engeln, die ganz frech und unbekümmert der Welt, und damit uns, die Zunge zeigen.

© Ursula Magnes