Chronik
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Herbstkonzert 2011 - Werkeinführung

Musiken zum Sterben schön

„Das ist doch einmal etwas, aus dem sich etwas lernen lässt“, begeisterte sich W. A. Mozart beim Hören Bach'scher Motetten in Leipzig. Schon in Wien brachte ihn der musikkundige Diplomat Baron Gottfried van Swieten zur Musik älterer Meister und animierte Mozart, sich mit Händels „Messias“ sowie Präludien und Fugen von Johann Sebastian Bach zu beschäftigen. In seiner Musik steckt auch wesentlich mehr des Leipziger Thomaskantors als so manch ein Kenner vermuten mag. Bachs jüngster Sohn Johann Christian war dem jungen Mozart in London ein wichtiger Wegweiser, wodurch sich der Bogen zum Vater schließt.

Innerhalb der rund 200 erhaltenen Kantaten von J. S. Bach ist die Solo-Kantate BWV 82 „Ich habe genug“ eine der bekanntesten. Sie entstand für das Fest „Mariä Reinigung“ („Maria Lichtmess“) am 2. Februar 1727. Der uns unbekannte Verfasser des Textes behandelt die Geschichte von Simeon. Als Maria mit Ihrem jungen Sohn den Tempel besucht, erkennt der alte Simeon das Kind als Jesus, seinen Messias. Damit ist sein Leben zur Erfüllung gelangt und er kann „mit Freuden“ sterben: „Ich habe genug“. Weitere Kantaten zu diesem Thema schrieb Bach mit BWV 83 „Erfeute Zeit im neuen Bunde“, BWV 125 „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“, BWV 157 „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“, BWV 162 „Komm, du süße Todesstunde“, BWV 200 „Bekennen will ich seinen Namen“ (unvollendet).
Besonders reizvoll und berührend ist der Dialog zwischen Oboe und Solostimme in der Eingangsarie „Ich habe genug“. Wie so oft bei Bach eine Art innerer Monolog mit dem eigenen Hoffen und Sehnen mittels Glauben „Jesus ans Herz zu drücken“. Die zweite Arie „Schlummert ein, ihr matten Augen“ ist ein Wiegenlied über „süßen Frieden und stille Ruh“. Beinahe als fröhlicher Tanz äußert sich die dritte Arie „Ich freue mich auf meinen Tod“. Ein eindrucksvolles Glaubensbekenntnis, bei dem die Skizze eines dogmatischen Zeigefingers über die Gewalt des Fegefeuers gänzlich fehlt.


In Falcos Welthit „Rock me Amadeus“ heißt es in der zweiten Strophe: „Er war Superstar. Er war populär. Er war so exaltiert. Because er hatte Flair. Er war ein Virtuose. War ein Rockidol. Und alles rief: Come and rock me Amadeus. Amadeus, Amadeus...“. Gar nicht so weit hergeholt und doch verlief das Leben „des Wolferls“ ziemlich anders, da im 18. Jahrhundert, ohne Lasershow, Mischpult und Bassverstärker.


Geboren wurde Wolfgang Amadeus Mozart am 27. Jänner 1756 in der Salzburger Getreidegasse als Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb Mozart. Der vierte Vorname Gottlieb wurde später sinngemäß in Amadeus („der Gott liebt“) geändert. Mozart ist ein Wunderkind, vom Vater Leopold gefordert und samt Schwester „Nannerl“ durch halb Europa geführt. Vom Papst in Rom wird er bereits als Vierzehnjähriger mit dem „Orden vom Goldenen Sporn“ ausgezeichnet. Elf Jahre später passiert Entscheidendes: 1781 quittiert Mozart den Dienst des Salzburger Fürsterzbischofs Colloredo mittels Fußtritt des Oberkämmerers, heiratet Constanze Weber und lebt fortan in Wien als freischaffender Komponist, Lehrer und Veranstalter von Konzerten (Akademien). Er wird zum „Kaiserlichen Kammermusikus“ ernannt. Mehr sollte es zu Hof nicht werden. Der Geschmack von Kaiser Joseph II. bevorzugte den italienischen Hofkapellmeister Antonio Salieri - die Geschichte mit einer eventuellen Vergiftung Mozarts bleibt der Fantasie vorbehalten.


Mozart führt in Wien ein aufwendiges Leben. Die finanzielle und gesundheitliche Lage verschlechtert sich jedoch am Ende der 1780er Jahre. Er stirbt am 5. Dezember 1791 und wird in einem Massengrab am St. Marxer Friedhof begraben. „Der Geschmack des Todes ist auf meiner Zunge, ich fühle etwas, das nicht von dieser Welt ist“, waren seine letzten Worte.


Seiner Witwe hinterlässt er zwei Söhne, Schulden - Mozart war ein leidenschaftlicher Spieler - und ein unfertiges Requiem, das als Totenmesse von einem anonymen Auftraggeber bestellt wurde. Mozart sollte als Ghostwriter fungieren, war aber mit der Fertigstellung der letzen zwei Opern „Titus“ und „Zauberflöte“ zu beschäftigt. So bleibt sein Requiem ein unvollendetes Werk: Nur zwei Drittel komponierte Mozart selbst, der Rest stammt von Franz Joseph Freystädtler, Joseph Eybler, Abbe Maximilian Stadler und schließlich Franz Xaver Süssmayr, der das Werk so fertig stellt, dass man es dem anonymen Auftraggeber übergeben konnte. Constanze benötigte das Honorar dringend für ihren Lebensunterhalt. Insofern ist der Valentinstag eine kleine Brücke zum Geheimnis des Mozart-Requiem: Am 14. Februar 1891 starb die junge Frau des Grafen Franz Walsegg zu Stuppach, der gerne Kompositionen in Auftrag gab, um sie dann als seine eigenen anzupreisen. Walsegg war es, der das Requiem bei Mozart für die Totenmesse seiner Frau bestellen ließ.


Was Mozart selbst über den Tod dachte, kann man in einem Brief an seinen kranken Vater Leopold aus dem Jahr 1787 nachlesen: „... da der Tod, genau zu nemmen [sic!], der wahre Endzweck unsers lebens ist, so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit diesem wahren, besten freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes!“



Requiem - Totenmesse

Das Requiem, die katholische Totenmesse, bietet eine fixe Abfolge an zu vertonenden Texten. Es fehlen aus gegebenem Anlass das Gloria („Ehre sei Gott in der Höhe“) und das Credo (Glaubensbekenntnis). Besonders wichtig ist der Einschub der Sequenz, einer besonderen Textabfolge in der Totenmesse.


So wie man sich für unterschiedliche Anlässe unterschiedlich kleidet, wählt der Komponist unterschiedliche Tonarten. Schon der Anfang des Requiems erinnert an den Beginn der Oper „Don Giovanni“ und nicht von ungefähr wählt Mozart die Tonart d-Moll, die man als „naturtrüb“ umschreiben könnte. Auffallend ist auch eine spezielle Form der Klarinette, das Bassetthorn. Zusammen mit den Posaunen ergibt das einen besonders dunklen, gleichzeitig warmen Klang. Eindringlich, fast sehnsüchtig steht am Anfang die Bitte um die ewige Ruhe: „Requiem aeternam“. Wie stille Beter schleichen sich Fagotte und Bassetthörner ins Werk, öffnen das Herz des Hörers, ehe die Blechbläser und die Pauke den Ernst, bisweilen Schrecken der „tödlichen“ Situation wieder herstellen.


Das „Kyrie“, das Bitten um Erbarmen, bettet Mozart in eine rasende Fuge der Chorstimmen. Ein Thema, eine Melodie, durchwandert alle Stimmen, ohne dabei ein Durcheinander zu erzeugen. Wenn man auf den Schluss achtet, hört man, dass alle Stimmen auf einem Ton enden: Einstimmigkeit im Bitten um Erbarmen.


Der Tag der Rache, das „Dies Irae“ gemahnt an das Jüngste Gericht, wenn die irdischen Sünden hinterfragt werden. Mozart peitscht die Streicher, den Chor und die Trompeten wie von einem Kettenhund verfolgt, voran. Es erinnert an eine Gewitterszene, in der die Bedrohung nahe rückt.


Das „Tuba mirum“, in dessen Text die Posaune „laut erklingt“, tut es bei Mozart auch in der Musik, indem die Posaune feierlich eröffnet. Es folgen alle vier Gesangssolisten und beschreiben den Mut der Verzweiflung vor dem Thron Gottes. Auffallend, das an der Stelle, wo es heißt „Wenn Gerechte selbst verzagen?“ alle Solisten unisono singen, um sich sinnbildlich wohl stärker zu fühlen. Der Chor ruft den König schrecklicher Gewalten „Rex tremendae“ aus und marschiert ins Reich der Gnade, die Mozart wie einen plötzlichen Szenenwechsel komponiert. „Gnadenquell, lass Gnade walten“ geht ein Seufzen durch den Chor. Mozarts persönliches Schicksal ist spürbar und kaum zu überhören.


Das „Recordare“ ist der mit Abstand längste Abschnitt der Sequenz. Es ist die Bitte an Jesus Christus um Nachsicht, die vom Solistenquartett abwechselnd vorgetragen wird. Auch hier spielt Mozart mit vokalen Farben und ganz feinen rhythmischen Verschiebungen - es schlängelt sich ein Flehen durch die Musik, „man möge der Hölle entgehen“.


Absolute Gegensätze prägen das „Confutatis“. Schuld und Sühne sind akustisch greifbar, ehe im „Lacrimosa“, dem Tag der Tränen, die Geigen seufzen und der Chor erneut um die ewige Ruhe bittet. Es ist überliefert, dass Mozart beim Komponieren dieser Noten verstarb.


Die weiteren Abschnitte folgen den üblichen Messabschnitten des Offertoriums (Dankgebet) während der Abendmahlfeier bis hin zum „Lux aeterna“ („Ewiges Licht“). Aus der Bitte um Ruhe des Anfangs entspringt das ewige Licht für die Verstorbenen.


© Ursula Magnes