Sommerkonzert 2011 - Werkeinführung
Konzertantes Ballett mit
Himmelsinstrumenten: Harfe, Posaune und Celesta
Spaziert man durch den 23. Wiener Gemeindebezirk, so findet sich in Liesing seit 1954 parallel zur
Südbahn auch die Alvarsgasse, benannt nach dem englischen Harfenisten, Virtuosen und Komponisten Elias
Parish Alvars. Er wurde 1809 im kleinen südenglischen Hafenstädtchen Teignmouth geboren und starb 1849 als
angesehener k. k. Kammervirtuose in Wien. Seine Grabstätte befindet sich übrigens am St. Marxer Friedhof.
Zwar blieb ihm ein Studium an der Royal Academy of Music verwehrt, doch fand Parish Alvars seinen eigenen
Weg und widmete sich während seines Studiums auch dem Harfenbau; er arbeitete bei den Harfenbauern Schwieso
und Grosjean am Londoner Soho Square. Im Laufe seiner brillanten Karriere konnte er es sich dank seines
Virtuosentums leisten, mit den Klavierkonzerten Beethovens und den Sonaten Chopins auf Augenhöhe zu konkurrieren.
Dies besonders aufgrund der neuartigen Doppelpedalharfe von Pierre Erard mit all ihren technischen Möglichkeiten.
Hector Berlioz hörte ihn 1842 in Dresden und schrieb: " Er ist der Liszt der Harfe! Man kann sich nicht vorstellen,
was er an graziösen oder energischen Effekten, an originellen Läufen, an unerhörten Klangwirkungen zu erreichen
vermag, [...] Der Vorzug der neuen Harfen, dass man mittels einer zweifachen Bewegung der Pedale zwei Saiten auf
denselben Ton stimmen kann, hat ihn auf Kombinationen gebracht, die, wenn man sie geschrieben sieht, unausführbar
erscheinen."
Auch die Wiener Allgemeine Musik-Zeitung sieht ihn nach einem Konzert vom 2. Jänner 1848 auf der
Höhe seiner berühmten Zeitgenossen: "Ganz auf eigenstem Grund und Boden bewegte sich Herr Parish-Alvars in seinem
großen Konzert c-Moll für Harfe mit Begleitung des Orchesters. Dies war endlich wieder ein Konzert, wie man es nur
von einem Künstler erwarten kann, ein Konzert in dem Sinne wie es die großen Meister Beethoven, Hummel, Mendelssohn
usw. verstanden, ein ganzes, gegliedertes, durchgeführtes, erhabenes Tonstück!"
Er komponierte insgesamt über 80 Werke für Soloharfe, darunter auch die bemerkenswerte "Grande fantasie brillante" für
Harfe und Klavier gemeinsam mit seinem Freund Carl Czerny. Und er verarbeitete seine zahlreichen Reiseeindrücke ähnlich
wie Franz Liszt. Die "Voyage d'un Harpiste en Orient" op. 62 für Harfe solo folgt beispielsweise türkischen und
griechischen Melodien. Das Concertino d-Moll op. 91 folgt ganz dem Geschmack seiner Zeit. Dreisätzig, dient der
Dialog mit dem Orchester dazu, alle nur erdenklichen technischen Raffinessen zu präsentieren, um dabei nie das
italienische Belcanto zu verlassen. Melodien mutieren in bunte Arabesken - es bewegt sich alles in einem Fluss.
Ferdinand David, Schüler von Louis Spohr und Lehrer von Joseph Joachim, war besonders nach dem frühen Ableben Felix
Mendelssohn-Bartholdys ein Fixstern im Leipziger Musikleben. Seit 1835 fungierte er als Konzertmeister des berühmten
Gewandhausorchesters und arbeitete zusätzlich als erster Violinlehrer des neu gegründeten Konservatoriums. Mit
seinem Concertino für Posaune und Orchester op. 4 ist ihm ein echter Repertoire-Klassiker, eine Art Pflichtstück,
gelungen. Komponiert hat er es für seinen Orchesterkollegen und Bratscher (!) seines Streichquartettes Karl
Traugott Queisser, der auch ein hervorragender Posaunist war und die Entwicklung des Posaunenspiels maßgeblich vorantrieb.
Ein Zeitgenosse berichtete: "Was aber die Posaune betrifft, so konnte er im Grunde gar keine eigentliche
künstlerische Unterweisung erhalten, indem zu damaliger Zeit das Instrument, namentlich bei den Stadtmusikchören, auf
einer sehr niedrigen Stufe der Entwicklung stand; man konnte ihm weiter nichts als die Accordlage der Züge zeigen,
und er sah sich daher in dieser Hinsicht auf eigenes Studium hingewiesen. Zu welcher staunenswerthen Meisterschaft
er es auf diesem schwierigen Instrumente gebracht, weiß die ganze Welt."
Das dreisätzige Konzert bietet vor allem in den Orchestervorspielen der "Ecksätze" schöne Farben und genügend Dramatik,
um das Eintreten der Soloposaune mit Spannung zu erwarten. Der kurze, eingeschobene Trauermarsch ersetzt im
eigentlichen Sonatensatz die Durchführung. Eine äußerst pragmatische Lösung.
Die Suite aus Peter Iljitsch Tschaikowskys Ballett "Nussknacker" wurde noch vor dem Ballett am 19. März 1892 in
St. Petersburg konzertant aufgeführt und war auf Anhieb ein umjubeltes Stück Musik. Die literarische Vorlage stammt
von E. T. A Hoffmann, dessen Geschichte "Nussknacker und Mausekönig" durch eine Bearbeitung von Alexandre Dumas in
Russland ziemlich bekannt wurde.
Im Zentrum der Handlung steht Klärchen, im Russischen "Mascha" genannt. Sie bekommt am Weihnachtsabend von ihrem
Patenonkel Drosselmeyer einen Nussknacker geschenkt. Eingeschlafen träumt das kleine Mädchen von einer Schlacht der vom
Nussknacker angeführten Spielzeugsoldaten gegen das Heer des Mäusekönigs. Durch ihre Hilfe siegt der Nussknacker, der
sich danach just in einen Prinzen verwandelt. Dieser reist mit Klara in das Reich der Süßigkeiten, über den
Tannenwald zum Schloss Zuckerburg, wo die dort residierende Zuckerfee zu Ehren ihrer Gäste ein Fest veranstaltet.
In der von Tschaikowsky unter op. 71a selbst zusammengestellten Suite folgt nach der Ouvertüre eine Abfolge
charakteristischer Tänze: Marsch, Tanz der Zuckerfee, Russischer Tanz, Arabischer Tanz, Chinesischer Tanz, Tanz
der Rohrflöten und der abschließende Blumenwalzer. Durch die erstmalige Verwendung der Celesta
(Attribut der Zuckerfee) zaubert Tschaikowsky ein wahres Schlaraffenland. An seinen Verleger Peter Jurgenson
schreibt er: "Ich habe in Paris ein neues Orchesterinstrument entdeckt, ein Mittelding zwischen einem kleinen
Klavier und einem Glockenspiel, mit einem göttlich schönen Klang. [...] Es darf aber dort [in St. Petersburg]
niemandem gezeigt werden; ich fürchte nämlich, Rimsky-Korsakow und Glasunow könnten die Sache wittern und den
ungewöhnlichen Effekt vor mir aufbringen."
Der Nussknacker ist Tschaikowskys drittes großes Handlungsballett und führt
in seiner Thematik direkt zu Claude Debussys Puppenballett "La Boîte à joujoux" sowie zu Igor Strawinskys
"Petruschka". Im 1940 herausgekommenen abendfüllenden Zeichentrickfilm "Fantasia" von Walt Disney wird mit
Teilen aus Tschaikowskys "Nussknacker" der Wechsel der Jahreszeiten vom Sommer bis zum Winter dargestellt: Tiere,
Pflanzen und Feen tanzen zur Musik.
© Ursula Magnes