Chronik
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Cleopatra, Melissa - Vivaldi und Mozart

Georg Friedrich Händel: Arien

„Da tempesta il legno infranto“ ist Cleopatras letzte Arie in G. F. Händels Oper „,Giulio Cesare in Egitto“. Ein Dramma per musica nach einem Libretto von Nicola Francesco Haym mit welchem Händel bei der Uraufführung am 20. Februar 1724 im Londoner King's Theatre einen triumphartigen Erfolg feierte. Er instrumentierte aufwendig, stellte Römer und Ägypter hörbar gegenüber und ließ die historisch belegte Liebesaffäre zwischen Cäsar und der Königin von Ägypten noch dazu von den Stars seiner Zeit singen. Der Altkastrat Senesino sang Julius Cäsar und die Sopranistin Francesca Cuzoni übernahm die Cleopatra. Charles Burney bezeichnete die Oper als ein Werk, das „die Schönheit aller Art in Überfluss bietet.“

Mit den virtuosen Läufen und atemberaubenden Sprüngen stellte Händel Cleopatra in „Da tempesta il legno infranto“ als eigentliche Siegerin dar, denn „wenn ein Schiff, im Sturm zerschmettert, doch noch den rettenden Hafen erreicht, gibt es keine anderen Wünsche mehr.“ Gemeint ist damit die Trost findende Seele eines liebenden Menschen. Es ist generell erstaunlich wie sehr Händel psychologisch geschickt innerhalb von sechs Arien mit unterschiedlichem Affektgehalt Cleopatra von der eiskalt berechnenden Verführerin zur liebenden Frau werden lässt. In „Piangero la sorte mia“ beklagt sie ihr Schicksal: „Doch wenn ich tot bin, wird mein Geist Tag und Nacht den Tyrannen quälen, wo immer er auch sein mag.“

Die Zauberin Melissa aus Händels Oper „Amadigi di Gaula“, nach einem Stoff aus den Artussagen und am 25. Mai 1715 am King's Theatre uraufgeführt, steht als Magierin ganz in der Reihe jener dramatischen Kolleginnen ihrer Zunft wie Alcina, Medea oder Armida. Sie erdolcht sich am Ende der Oper, da es ihr nicht gelingt das Herz des Ritters Amadigi zu erweichen. In der Arie „Destero dall empia dite“, Schlussszene des 2. Aktes, beschwört sie die Furien: „Kommt her, zu strafen, die Melissa erniedrigten!“

Antonio Vivaldi: Konzerte für Streicher

Antonio Vivaldi unterrichtete am Beginn seiner Karriere am Konservatorium des „Ospedale della Pieta“, eines jener Venezianischen Waisenhäuser, in welchem besonders begabte Mädchen Musikunterricht erhielten. Er kehrte auch immer wieder an diese Institution zurück. Das Concerto Madrigalesco für Streicher erhielt seinen Beinamen aufgrund der chorisch gesanglichen Anlage des Stückes. Als würden die Streicher ein italienisches Madrigal singen. Nach der dramatisch kurzen Einleitung (Adagio) folgt ein Allegro, in welchem Vivaldi Material seines Kyrie g-Moll RV 587 verwendet. Einem langsamen Zwischenspiel (Adagio) folgt ein für Vivaldi'sche Verhältnisse äußerst moderates Allegro, in welchem sich das Finale des Magnificat g-Moll RV 610 wieder findet.

Aus der fast unüberschaubaren Anzahl an Konzerten, welche Igor Strawinsky zur Bemerkung hinrissen, Vivaldi hätte im Grunde nur eines geschrieben, hebt sich sein op. 3 „L'estro armonico“ besonders heraus. Das Dutzend wurde 1711 vom umtriebigen Verleger Estienne Roger in Amsterdam als geniale „harmonische Eingebung oder Laune“ veröffentlicht und brachten Vivaldi viel Anerkennung. So schrieb der deutsche Flötist Joseph Joachim Quantz 1714, dass Vivaldis prächtige Ritornelli ihm „zu einem guten Musiker gedienet“ haben. Das Doppelkonzert in a-Moll RV 522 folgt dem im Spätbarock sich etablierenden dreisätzigen Muster „schnell, langsam, schnell“, wobei sich die zwei konzertierenden Violinen mit den „mitstreitenden“ Streichern abwechseln.

Von Johann Sebastian Bachs Biographen Johann Nikolaus Forkel wissen wir, dass der Leipziger Thomaskantor den italienischen Kollegen Vivaldi sehr schätzte. Er studierte dessen Konzerte und transkribierte diese für Orgel, Cembalo oder sogar für vier Cembali, wie im Fall seines BWV 1065, welchem Vivaldis Concerto op.3/10 für vier Violinen zugrunde liegt. Damit erschloss sich ihm „die Führung der Gedanken, das Verhältnis derselben unter einander, die Abwechslungen der Modulation und mancherlei andere Dinge mehr.“

Am Ende seines Lebens kehrte Vivaldi gemeinsam mit der Sängerin Anna Giro Venedig den Rücken und hoffte auf eine Anstellung am Wiener Hof. Vergebens - Kaiser Karl VI. starb wenig später nach seiner Ankunft. Es sollte seine letzte Reise werden, denn Vivaldi starb am 28. Juli 1741 und liegt unter dem heutigen Karlsplatz begraben. Seine Musik offenbart sich beim ersten Ton. Und das können nicht viele von sich behaupten.

W. A. Mozart: Gran Partita - Serenade für 13 Bläser KV 361

Der Beiname „Gran Partita“ wurde Mozarts außergewöhnlicher Serenade erst nach seinem Tod beigefügt, ist er f¨r diese Zeit doch eher untypisch und bereits veraltet. Geschrieben hat er das Werk am Beginn seiner Wiener Jahre für den Klarinettisten Anton Stadler; aufgeführt am 23. März 1784 im Burgtheater im Rahmen eines Benefizkonzertes. Umfang und Besetzung der Serenade sind bemerkenswert und sprengen das Gewöhnliche einer Harmoniemusik: zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Bassetthörner (!), vier Hörner (!), zwei Fagotte und Kontrabass, wahlweise Kontrafagott. Daraus schöpft Mozart Farben und Schattierungen, die erst wieder in Antonin Dvoraks Bl¨serserenade op. 44 (1878) erreicht werden. Eine fiktive Beschreibung bringt es auf den Punkt. Peter Shaffer legt in seinem Theaterstück „Amadeus“ Antonio Salieri folgende Worte in den Mund: „Die Partitur sah nach nichts aus. Der Anfang, so simpel, fast lächerlich. Nur ein Pulsieren, Fagotte, Bassetthörner - wie eine rostige Quetschkommode. Doch da, plötzlich, hoch darüber, eine einsame Oboe, ein einzelner Ton, unerschütterlich über allem, bis eine Klarinette ihn aufnimmt, in einer Phrase von solch himmlischer Süße! Das war keine Komposition eines Zirkusaffen! So eine Musik hatte ich noch nie vernommen. Voll tiefster Sehnsucht; einer so unstillbaren Sehnsucht, dass ich erbebte und es mir schien, als hörte ich die Stimme Gottes."

Am 8. Juni 1781, Mozart ist gerade einmal 25 Jahre jung, kommt es zum endgültigen Bruch mit dem ungeliebten Salzburger Dienstherren Erzbischof Colloredo. Graf Arco, der ihn vor einem freien Künstlerleben in Wien eindringlich warnte, denn „nach etwelchen Monaten wollen die Wiener wieder was Neues“, schmiss ihn per Fußtritt aus der Tür. Apropos Leichtigkeit: In einem Brief an den Prager Kapellmeister Johann Baptist Kucharz schreibt Mozart: „Überhaupt irrt man, wenn man denkt, dass mir meine Kunst so leicht geworden ist. Ich versichere Sie, lieber Freund! Niemand hat so viel Mühe auf das Studium der Komposition verwendet als ich. Es gibt nicht leicht einen berühmten Meister in der Musik, den ich nicht fleißig, oft mehrmals durchstudiert hätte.“

In Wien war es vor allem Baron Gottfried van Swieten, der das Interesse Mozarts an den alten Meistern Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel förderte. So bearbeitet Mozart beispielsweise Händels „Messias“ und instrumentierte Fugen aus der Feder Bachs, über dessen Motetten er schon auf einer Reise durch Leipzig schwärmte, „dass man daraus noch etwas lernen könne“.

Einen Höhepunkt erreicht sein Schaffen für Bläser in der so genannten Gran Partita. Das ist nicht mehr Musik zum aristokratisch, bürgerlichen Amusement, das ist Musik für Feinschmecker und Kenner. Mozart verwendet erstmals die Bassetthörner, die er durch die Brüder Stadler kennen lernte. Im Zentrum leuchtet und atmete das Adagio: Über einen sanft, weichen Synkopenteppich schwingen sich Oboe und Klarinette in die Höhe, heben ab, bestreiten den gleichen Weg in Moll, kehren zurück. Das ist ganz große Oper und doch Unterhaltung - Mozart eben! Er entreißt selbst die beiden Menuette jeglicher Konvention und spielt sich im Variationensatz mit Klangfülle und -farben.



© Ursula Magnes