Chronik
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Josef Haydn: Die Schöpfung

Oratorium für drei Solostimmen, Chor und Orchester



Werkeinführung

Klassischer Dreiklang: Gott - Natur - Mensch

... erdverbunden und himmelsfroh ...

Während seiner beiden großen Reisen nach England zwischen 1790 und 1795 erlebte Joseph Haydn Aufführungen Händel'scher Oratorien, was ihn veranlasste, die Vertonung der Schöpfungsgeschichte ins Auge zu fassen. Ein Unternehmen, an dem sein großes Vorbild Georg Friedrich Händel trotz seines Messias in Form einer "geistlichen Unterhaltung" - "a sacred entertainment" - gescheitert war. Es sollte eine äußerst moderne Antwort auf die barocke Oratorientradition werden, die unmissverständlich die Spuren aufgeklärter Philosophie trägt. "Papa Haydn" komponierte radikal und kompromisslos, dem Licht zugewandt in der Darstellung der Natur, gespiegelt im Bezie-hungsgeflecht von Gott, Welt und Mensch. Als Libretto diente ihm dazu John Miltons "Paradise Lost", welchem der Präfekt der Wiener Hofbiblio-thek Baron Gottfried van Swieten "ein deutsches Gewand umhing". Er verband die englische Vorla-ge mit Texten aus der Vulgata, einigen Psalmver-sen und fand darüber hinaus zu überaus eindringlichen Bildern, welche auch Haydn sehr zu schät-zen wusste: "Ich habe nötig, oft mit dem Baron zu sprechen, um änderungen an dem Text machen zu können, und außerdem ist es für mich ein Ver-gnügen, ihm verschiedene Nummern zu zeigen, weil er ein tiefer Kenner ist, der selbst gute Musik gesetzt hat bis auf Sinfonien von großem Wert ..."

Drei Jahre rang der mittlerweile weltberühmte Joseph Haydn mit der endgültigen Form "seiner Schöpfung", ehe er die Partitur im Frühjahr 1798 fertig stellte. Dieses Ringen schilderte er auch seinem ersten Biografen Georg August Griesinger: "Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition vorangerückt war, merkte ich, dass sie geraten wäre; ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete. Täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, dass er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte."

Das Oratorium gliedert sich in drei Teile mit insgesamt 34 Nummern, wobei jeweils eine rezitativische Erzählung die einzelnen Bilder skizziert, welche von Arien, Ensembles oder Chören dramatisch gedeutet werden. Ein effektvoll gestalteter Chor fasst den jeweiligen Abschnitt zusammen: "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes", "Vollendet ist das große Werk" und "Singet dem Herren alle Stimmen". Der erste Teil umfasst die ersten vier Tage der Schöpfungsgeschichte, der zweite die weitere Erzählung und im dritten Teil steht das erste Menschenpaar Adam und Eva im Mittelpunkt. Der Schluss mündet in eine jubelnde Ver-herrlichung Gottes. Der dogmatische Zeigefinger bleibt dabei bewusst außen vor, der Emanzen-schock über das Gehorchen Evas ihrem Adam gegenüber hält sich in Grenzen. Haydn hat wie immer Witz genug seine eigenen Eheprobleme in der betreffenden Instrumentalstimme karikierend zu schildern (Schluss Rezitativ Nr. 31 vor dem Duett "Holde Gattin, Dir zur Seite")

Als Solisten fungieren in der Schöpfungsgeschichte die drei Erzengel Gabriel (Sopran), Uriel (Tenor) und Raphael (Bass). Im dritten Teil tritt neben Adam und Eva noch Uriel als Erzähler ins Geschehen ein. Bei der ersten Aufführung der Schöpfung am 30. April 1798 im Stadtpalais des Fürsten Schwarzenberg lief alles was Rang und Namen hatte in Wien mit großer Neugier zusammen, denn schon die Proben verhießen Sensationelles, "dass die Kunde davon gleich einem Lauf-feuer in der ganzen Stadt sich verbreitete und die Erwartung auf den Kulminationspunkt steigerte." Unter den 140-160 Mitwirkenden befand sich auch die erst 21-jährige Konzertsängerin Christine Ge-rardi, eine Schülerin des Mozart-Tenors Valentin Adamberger, als einzige (!) Frau auf der Bühne: "Mit junger und leichter Sopranstimme, schöner Gestalt, sprechenden Zügen und vor allem mit ihrem feurigen Auge." Ignaz Saal sang "mit sanfter Kraft" den Raphael/Adam und Professor Matthias Rathmayer von der Theresianischen Ritter-Akademie verlieh seine schöne Tenorstimme der Partie des Uriel. Haydn selbst dirigierte, was der Korrespondent der Leipziger Allgemeinen Zeitung aufmerksam beobachtete: "Mir war seine Mimik höchst interessant. Er hauchte dadurch dem zahl-reichen Personal der Tonkünstler den Geist ein in welchem sein Werk componiert war und aufge-führt werden musste. Man las in allen seinen nichts weniger als übertriebenen Bewegungen sehr deutlich, was er bei jeder Stelle gedacht und empfunden haben mochte." Die mit "ekstatisch die Gemüter, überrascht, hingerissen, trunken vor Freude und Bewunderung" gefeierten Folgeauf-führungen basierten auf der privaten Initiative des reichen wie Kunst liebenden Fürsten Joseph Jo-hann Nepomuk Schwarzenberg. Die sich um ihn scharende adelige Liebhabergesellschaft über-brachte Haydn für dessen Auftragskomposition das "fürstliche" Honorar von 500 Dukaten, was der Summe von 2125 Gulden, umgerechnet mehr als 50.000 Euro, entspricht.

Der "Eipeldauer" Joseph Richter beschreibt in "Briefe eines Eipeldauers an seinen Vetter in Kakran über die Wienstadt" (6. Heft.1799, 4. Brief), eine Fundgrube Wiener Lokalereignisse, die aufgeregte Stimmung und die Reaktion des Publikums: "Bevor d'Cantati angegangen ist, ist ein Geschrey und ein Lärm gwesen, dass man sein eigns Wort nich ghört hat. Da hat das eine gschrien: au weh! Mein Arm! Mein Fuß! Mein Haub'n! Und da haben d'gnädign Fraun nach'n Menschern [Hausangestellten] gschrien, die s'zum Platz aufhebn hinein geschickt haben, und d'Menscher wieder um ihre gnädigen Fraun, und da sind s' einander fast über Köpf weg gstiegn, und da haben d' Fürtücher und d' Schail und die Röck krik krak gmacht. Ein kleines Kind wär bald erdruckt worden, wenn's nicht ein vornehmer geistlicher Herr in sein Loschi hinauf zogn hätt [...] Endlich ist d'Musik angangen, und da ist's auf einmal so still worden, dass der Herr Vetter ein Mäuserl hätt laufen hörn, und wenn's nicht öfters klatscht hätten, so hätt man glaubt, dass gar keine Leut in Theater wärn. Aber Herr Vetter, ich werd auch in mein Leben keine so schöne Musik mehr hörn: und wenn ich noch ein drey Stund länger hätt sitzen solln, und wenn der Gstank und's Schwitzbad noch größer gwesen wär, so hätt's mich nicht gereut."

Haydns Schöpfung als zutiefst humanistisches Lehrgedicht, der Komponist war Mitglied der Freimaurerloge "Zur wahren Eintracht", stieß in klerikalen Kreisen auch auf große Ablehnung bis Skepsis. Dem Schulrektor Karl Ockl aus Plan in Böhmen wurde vom Prager Consistorium eine Aufführung untersagt. Ockl wandte sich an den verehrten Haydn, der ihm sehr aufschlussreich antwortete: "Es freut mich ungemein zu hören, dass mein Oratorium von allen Musikfreunden in jener Gegend eben den Beyfall erhielt, den es beynahe schon vom größten Theil von Europa zu erhalten das Glück hatte; aber zu meinem Erstaunen musst' ich die daraus entstandene sonderba-re Geschichte vernehmen, die in der Zeit-Epoche, in der wir leben, sicher dem Kopfe und Herzen des Urhebers davon wenig Ehre machen scheint. Seit jeher wurde die Schöpfung als das erhabenste, als das am meisten Ehrfurcht einflössende Bild für den Menschen angesehen. Dieses große Werk mit einer ihm angemessenen Musik zu begleiten, konnte sich keine andere Folge haben, als diese heiligen Empfindungen in dem Herzen des Menschen zu erhöhen, und ihn in eine höchst empfindliche Lage für die Güte und Allmacht des Schöpfers hinzustimmen. Und diese Erregung heiliger Gefühle sollt Entweihung der Kirche sein? Sind sie ganz beruhigt über den Erfolg dieser Geschichte, denn ich bin überzeugt, dass ein ver-nünftiges Consistorium diesen Apostel des Frie-dens und der Einigkeit näher mit seinen Pflichten bekannt machen wird, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Menschen mit weit gerührterm Herzen aus meinem Oratorio als aus seine Pre-digten herausgehen dürften, und dass keine Kirch durch meine Schöpfung je entheiligt, wohl aber die Anbethung und Verehrung des Schöpfers dadurch eifriger und inniger in einer solchen heili-gen Stätte erzielt werden..."

Auf die Frage des Kaiser Franz welchem Oratorium, der Schöpfung oder den Jahreszeiten, Haydn selbst den Vorzug geben würde, votierte Haydn für die Schöpfung und begründete dies mit den Worten: "In der Schöpfung reden Engel und erzählen von Gott, aber in den Jahreszeiten spricht nur der Simon." Nikolaus Harnoncourt fasste die Faszination der Partitur in zwei Sätze: "All dies ist musikalisch ebenso direkt, naiv und echt wie etwa die Schöpfungsbilder der großen Maler. - Die Kinder und wir alle folgen gespannt und gerührt, aufgeregt, mit roten Ohren."

Wir sind hörend und staunend dabei, wenn eine neue Welt entsteht. Regen, Schauer und Schnee geboren werden, Flüsse erstmals strömen und laufen, der helle Bach dahin plaudert, frisches Gras und frischer Samen tanzen. Licht im berühmtesten C-Dur aller Zeiten einfällt, die Sonne aufgeht und der Mond sich geheimnisvoll einschleicht. Klarinetten fliegen als Adler zur Sonne, Fagotte gurren, Flöten mimen die Nachtigall, kriechendes Gewürm beschwert den Erdboden. So erdverbunden und himmelsfroh hat bis dato noch niemand komponiert. Joseph Haydn war in sei-nem Esterhazyschen Biotop "original" geworden. Und das wiederum "verstand man auf der ganzen Welt". Ursula Magnes

© Ursula Magnes